Mahngang auf dem Internationalen Friedhof Gründonnerstag 2020

Rede Dmitriy Kostovarov anlässlich der Gedenkfeier Karfreitag 2019 auf dem Internationalen Friedhof

Liebe Freundinnen und liebe Freunde, Meine Damen und Herren,

Jedes einzelne Grab, auf jedem kleinen oder großen Friedhof, in jedem Land ist die Ruhestätte eines Menschen. Bis zum Augenblick seines Sterbens hat er sein Leben, sein eigenes Schicksal, seine Familie und Verwandten. Er hat Gefühle, Pläne und Hoffnungen. Es ist absolut unwichtig aus welchem Land er kommt, ob er freiwillig an einem Ort lebt oder verschleppt wurde. Auch dieser Friedhof ist für viele Menschen die letzte Ruhestätte. Diese Menschen hatten ein Recht zu leben, aber ihr Leben wurde durch den Krieg beendete. Wie viele Menschen hier beerdigt wurden, wissen wir bis heute nicht. Jahr für Jahr kommen neue Dokumente und Erkenntnisse ans Licht. Diese Dokumente bringen neue Zahl von Verstorbenen. Dieses Dokument zeigen uns einzelne Schicksale.

Wer waren diese Menschen, die hier begraben sind? Kriegsgefangene und Zivilarbeiter*innen aus Sowjetunion ….. Männer, Frauen, Kinder. In ihrer Heimat waren sie Arbeiter und Arbeiterinnen, Studentinnen und Studenten, Bäuerinnen und Bauern, Ingenieure oder Lehrerinnen. Sie waren Söhne und Töchter, Väter und Mütter, sie hatten Familien. Sie wurden Opfer eines schrecklichen Krieges.

Sie wurden Opfer der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die die Nazis verübt haben. Sie mussten als billige Arbeitskraft für Hitler´s Rüstungsindustrie schuften, in der Landwirtschaft und in kleinen Betrieben und hier in Dortmund zu tausenden auf den Zechen und in den Stahlwerken. Sie hatten keine Rechte und mussten bis zur völligen Erschöpfung arbeiten. Wenn sie ihre Kraft und ihre Gesundheit verloren hatten, wenn sie krank wurden, dann schickten ihre Arbeitgeber sie zum Sterben in die Lager zurück. Sie erhielten fast keine Medikamente und kaum medizinische Versorgung. Wenn sie starben, wurden sie ohne Namen auf diesem Friedhof begraben.


Doch die Erinnerung an jeden Einzelnen bleibt. Noch heute erinnern sich die Familienangehörige der Verstorbenen an sie. Ihre Familienangehörigen wollen etwas über das Schicksal der Verstorbenen erfahren. Ihre Familienangehörigen wollen wissen wo das Grab ist, wie das Grab aussieht und in welchem Zustand es ist. Die Familienangehörigen wollen wissen welches Andenken man heute in Deutschland pflegt, an die verstorbenen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen, die Opfer der Nazis wurden, wer sich heute an sie erinnert. Die Angehörigen wollen aber auch nach ihren eigenen Vorstellungen an den Gräbern trauern und die Grabstätten nach ihren Traditionen herrichten. Dazu gehören die Weihe der Gräber nach den Traditionen der orthodoxen Kirchen, die leisen Gebete der Muslime und die Einsegnung der Gräber nach katholischer und protestantischer Tradition. Die Angehörigen möchten eine persönliche Erinnerung, ein Foto des Verstorbenen, auf den Gräbern zurücklassen. Sie möchten, dass die Namen der Verstorbenen auf einem Kreuz, einem Obelisken oder einer Stele eingetragen sind.

Die meisten Verstorbenen aus Sowjetunion wurden hier anonym begraben, nicht einmal die Verwaltung der Stadt Dortmund kennt bis heute alle Namen. Die Verstorbenen sind Opfer der Nazis. Nach dem Willen der Nazis sollte jede Erinnerung an die Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion, die zu Tode gequält wurden, ausgelöscht werden. Nichts, nicht einmal ein Grab, sollte an sie erinnern. Für die Angehörigen bleiben die Menschen, die hier begraben sind, in ihren Gedanken und in ihrer Erinnerung. Die Namen der Verstorbenen auf einem Denkmal, hier auf dem Friedhof , wäre für die Angehörigen und auch für uns alle ein Symbol der Erinnerung.

Vergessene Namen in Hamm

In den frühen Morgenstunden des 3. April 1944 ereignete sich auf der Zeche Sachsen, im Flöz Präsident, durch die Entzündung eines Gas-Luft-Gemischs, eine Schlagwetterexplosion. 169 Bergleute verloren ihr Leben.

Auf dem Friedhof in Dasbeck erinnern ein Gedenkstein an eine verheerende Schlagwetterexplosion. Eine Gedenkplatte nennt die Namen der deutschen Bergleute.

Wer aber waren die verunglückten Bergleute?
Am Unglücksmorgen arbeiten im Streb vier deutsche und 76 sowjetische Hauer, 18 sowjetische Kriegsgefangene, 9 Ostarbeiter sowie 25 Deutsche waren im Streckenvortrieb und in der Strebförderung beschäftigt. Außerhalb des Explosionsorts und bei Rettungsarbeiten starben weitere Bergleute. Die schreckliche Bilanz waren 169 Tote, von denen 127 ihr Grab unter Tage fanden. Unter den Toten waren 56 deutsche und 113 ausländischen Bergleute.

Für 55 Heessener Knappen fand auf dem Dasbecker Friedhof, unter Anteilnahme der Bevölkerung, eine Trauerfeier statt. Die ausländischen Bergleute nannte man nicht. Erst 1947 wurde für die verunglückten sowjetischen Bergleute ein Denkmal mit ihren Namen errichtet. Es befand sich auf dem Zechengelände, wurde aber 1987 abgebaut und zerstört. Fraglich ist, ob dies absichtlich geschah oder ein Versehen war.

Quelle montan.dok/BBA/54/851

Jedenfalls sind 113 Opfer des Grubenunglücks heute namenlos. So begann die Suche nach den ausländischen Opfern. Frühere Anfragen in Hamm gaben wenig Hoffnung ihre Namen noch zu finden. Nach Auskunft des Knappenvereins gab es keine Namen von sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern. Heute stehen aber verschiedene Quellen zur Verfügung, um Dokumente von sowjetischen Kriegsgefangenen ausfindig zu machen. Vielleicht ließen sich durch Recherchen in Dokumenten der Wehrmacht, die in verschiedenen Archiven liegen, wenigstens einige Namen ermitteln. Und wie ist die Dokumentenlage für die Kriegs- und die Nachkriegszeit im Stadtarchiv in Hamm?

Ein Besuch dort war mit keinen hohen Erwartungen verbunden. Doch schon eine erste Sichtung der bereitgestellten Akten war überraschenderweise erfolgreich. Bereits das erste Blatt der Akte war eine Liste mit allen Namen der am 3.04.1944 verunglückten sowjetischen Kriegsgefangenen, einschließlich Hinweisen auf die Registrierungsorte und -nummern. Letzteres ist für die Recherche besonders hilfreich, denn bei der Registrierung erhielt jeder Kriegsgefangene eine Erkennungsmarke, die ihn auf seinem Weg durch die Lager und Arbeitskommandos begleitete. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Namen und Vornamen bei der Registrierung oft falsch aufgenommen wurden. Eine Durchsicht der Dokumente bestätigte diese Annahme, auch bei den vorliegenden Listen sind zwei Drittel der Namen falsch geschrieben.
Andere Bestände des Stadtarchivs in Hamm zeigen die Lage der Gräber, die Grabnummerierung, eine Namensliste aus der Nachkriegszeit, die vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nach Angaben der Kommune erstellt wurde, und den Schriftwechsel mit verschiedenen Behörden und der Stadt, in dem alle Fragen der Grabpflege angesprochen wurden.

Im Stadtarchiv der Stadt Hamm gibt es also zahlreiche Dokumente über die am 3. April bei der Schlagwetterexplosion verunglückten sowjetischen und polnischen Bergleute. 75 Jahre nach dem Ende des Krieges wäre es an der Zeit an sie zu erinnern und ihnen mit einem Gedenkstein ihre Namen zurückzugeben.

Wie steht es mit der Erinnerungskultur in Dortmund?

Wie steht es 75 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Gedenken und der Erinnerung an die Opfer des Krieges in Dortmund?
Auf dem Hauptfriedhof befindet sich ein Ehrenmal und ein Gräberfeld. Links und rechts des Weges stehen fast 3500 Kreuzen. Sie tragen die Namen der deutschen Kriegsopfer in Dortmund. Beigesetzt wurden hier Dortmunder*innen, die im Bombenhagel umgekommen sind, aber auch Soldaten der Wehrmacht, alte Männer und Jungen, die beim Volkssturm waren oder bei Flak-Abteilungen. Die große Zahl der Kreuze zeigt augenfällig die große Zahl der Menschen war, die in Dortmund in einem sinnlosen, verbrecherischen Krieg ums Leben kamen. Hier zeigt sich die Tragik des Krieges mit jedem einzelnen Kreuz.

Deutsche Kriegsgräber auf dem Hauptfriedhof in Dortmund

Wenige Meter davon entfernt befindet sich der Internationale Friedhof am Rennweg. Dort wurden während des Zweiten Weltkriegs Kriegsgefangene und Zivilarbeiter*innen u.a. aus Polen, Serbien und der Sowjetunion, die in Dortmund Zwangsarbeit leisten mussten, gegraben.
Seit mehreren Jahren ist auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg, der auch Ausländerfriedhof genannt wird, ein Projekt geplant. Zum Gedenken und zur Erinnerung sollen Stelen mit den Namen der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen aufgestellt werden, die hier beerdigt sind. Die Verstorbenen wurden während des Krieges sehr oft anonym begraben. Wie viele es tatsächlich waren ist bis heute unbekannt. In einem sowjetischen Dokument aus dem Jahr 1945 wird die Zahl der dort begrabenen sowjetischen Opfer mit 17.000 angegeben. Dokumente der Stadt Dortmund aus der Nazizeit und der Nachkriegszeit geben an, dass fast 5000 sowjetische Bürger*innen auf dem Ausländerfriedhof begraben sind.
In der Nachkriegszeit wurden auf den Gräberfeldern Obelisken aufgestellt, ein Kreuz, ein Grabstein oder Grabmäler mit ihren Namen blieb den verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen, anders als den Verstorbenen anderer Länder, bis heute versagt.

Gräber der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund

2014 hat eine Kommission, bestehend aus der Stadt Dortmund, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. , der Botschaft der Russische Föderation und der Bezirksregierung in Arnsberg, den Friedhof besichtigt. Bei der Besichtigung 2014 wurde zu Protokoll genommen, dass alle Beteiligten der Vereinbarung Verantwortung für das Projekt tragen. Es wurde festgehalten, der historische Verein „Ar.kod.M e.V.“ ordnet alle gefundene Namen alphabetisch nach Feldern. Das ermöglicht Zahl und Design der Stelen zu planen. Die Botschaft der Russischen Föderation überprüft alle gefundenen Namen auf Basis vorliegender Dokumente. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. übernimmt die Namensliste für die Übertragung auf die Stelen. Die Bezirksregierung in Arnsberg beantragt die Bundesmittel, die Stadt Dortmund ist für die Realisierung des Projekts zuständig.

Der historische Verein „Ar.kod.M e.V.“ hat einen Datenträger mit dem Arbeitsergebnis an die entsprechenden Stellen übergeben. Seit August 2014 gibt es aber keine Fortschritte in diesem Projekt, vielmehr wurden verschiedene Gründe, wie etwa keine Finanzierung, keine Genehmigung, Verzögerungen im Planungsprozess, genannt. Zuletzt wurde als Grund für die Verzögerungen fehlende Kapazitäten in den Planungsbüros für die erforderlichen Bodenuntersuchungen genannt. Verständlich ist, dass vor der Errichtung der Stelen auch Bodenuntersuchungen und Planungen erforderlich sind, die die Standfestigkeit sicherstellen.

Der „Internationale Friedhof“ ist auch als Jüdischer Friedhof bekannt. Dort befinden sich seit dem 1920ziger Jahren jüdische Grabstätten. 2016 wurde hier eine Platte verlegt. Die jüdische Gemeinde erinnert damit an die jüdischen Soldaten, Offiziere und Generale, die ihr Leben in Zweiten Weltkrieg verloren haben und an deren Einsatz und die Opfer, die sie für die Befreiung vom Nationalsozialismus gebracht haben. Diese Platte wurde 2019 gegen ein Denkmal aus schwarzem Marmor ausgetauscht. Sicherlich waren auch für dieses Denkmal Bodenuntersuchungen erforderlich um die Standfestigkeit sicherzustellen. In jedem Fall ist es den Initiatoren des Denkmals gelungen das Gedenken und die Erinnerung an die jüdischen Menschen, die in den alliierten Armee gekämpft und an der Befreiung Deutschlands von Krieg und Nationalsozialismus einen großen Anteil haben, würdig zu gestalten.

Denkmal für die im 2. Weltkrieg in den Armeen der Alliierten gefallenen jüdischen Soldaten, Offiziere und Generale

75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung vom Nationalsozialismus hat nun auch die Stadt Dortmund eine besondere Verantwortung, an die Menschen, die hier Zwangsarbeit geleistet haben, zu erinnern und ihnen ihre Namen zurückzugeben. Auf den Zechen und in den Betrieben in Dortmund bestand die Belegschaft oft zu 50 % aus Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen. Diese Menschen haben mit der deutschen Bevölkerung gemeinsam gearbeitet. Ihr Leben, besonderes das der Menschen aus der Sowjetunion, war hart und entbehrungsreich. Sie waren in Lagern untergebracht und haben unter fehlender Versorgung, Krankheit und rassistischer Verfolgung gelitten. Nach ihrem Tod wurden sie oft anonym gegraben. Dies gehörte zum rassistischen Programm der Nazis. Einige Jahre später wurden die Gräber eingeebnet, so dass wir heute nur noch Rasenfläche vorfinden, wo sich einst Gräber befanden. Die Stadt Dortmund hat weder während des Krieges noch in der Nachkriegszeit ihren Umgang mit den Bestattungsorten der Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen hinterfragt und so ein schwieriges Erbe hinterlassen.

Die Jüdische Gemeinde erinnert mit einem Denkmal an die Verdienste von jüdischen Soldaten, Offiziere und Generale, die ihr Leben in Zweiten Weltkrieg verloren haben, dafür muss ihr gedankt werden.
Es ist jetzt schlicht und einfach die Verantwortung der Stadt Dortmund, ein würdiges Andenken an die Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion zu schaffen, die als Zwangsarbeiter*innen in dieser Stadt lebten, litten und starben.

Wer sind die Ermordeten in der Bittermark?

Ein tragisches Kapitel in der Geschichte der Stadt Dortmund sind die Ereignisse in der Bittermark im Frühjahr 1945. Gemeint ist das grausame Verbrechen der Nazis in den letzten Kriegstagen. Kurz nach dem Kriegsende wurde die Massenmorde bekannt. Was in den Gestapoleuten vorging, die Hunderte der eingesperrten Opfer erschossen haben, können wir nur vermuten. Geschah es aus Wut über den verlorenen Krieg oder war es der Versuch die Verbrechen zu verbergen? Zu den Opfern dieser Tat zählen Hunderte von Gefangenen aus Gestapohaft. Selbst die Anzahl der Erschossenen gibt bis heute Anlass für weitere Recherchen. In der Broschüre „Katyn im Rombergpark“ ist zunächst die Rede von drei Begräbnisorten mit 100, 99 und 2 Leichnamen, insgesamt also 201. Wenige Seiten später wird von 238 Opfern berichtet, die auf verschiedenen Friedhöfen, unter anderem in Aplerbeck und Hörde, beerdigt wurden. 1954 wurde entschieden eine gemeinsame Grabstätte in der Bittermark zu schaffen. Zu diesem Zeitpunk wird in der Literatur schon von 254 Toten berichtet. Ist es möglich, dass einige der 18 im Johannes-Hospital in Hörde verstorbenen „Sowjets“ mit umgebettet wurden? Heute sind nur 12 sowjetische Namen in Hörde auf Kreuzen zu sehen. Die anderen 6 werden nicht mehr erwähnt. Seit einigen Jahren wird von 309 oder von über 300 „Opfern in der Bittermark“ gesprochen.
Noch mysteriöser erscheint die Suche nach den Namen der Opfer. Verständlicherweise wurden Opfer der Gestapo aus Dortmund und Umgebung von Familienangehörigen identifiziert. Im Buch Beutel/Klose „Katyn in Romberg-Park“, Seite 26, wird das Vorgehen sehr präzise beschrieben. Dort gibt es ein paar Stellen, bei denen die Identifizierung nicht so eindeutig ist. Eine Leiche wurde nur anhand „einer Narbe auf der Hand“ wiedererkannt. Mehrere Körper wurden überhaupt nicht von Familien identifiziert, sie wurden aber trotzdem „als wahrscheinliche Opfer“ namentlich genannt. Dazu zählen auch Personen, die in den letzten Tagen u.a. in Bochum, Hagen, Witten, Lüdenscheid oder Herdecke verhaftet wurden und zum möglichen „Abtransport nach Dortmund“ bestimmt waren. Viele sind aufgrund von Meinungsäußerungen oder ihrer politischen Auffassungen spurlos verschwunden. Das war für ihre Familien ganz schrecklich.

Äußerst schlechter ist die Beweislage bei der Identifizierung von ausländischen Opfern. Keiner der Ermordeten hatte Papiere, Erkennungsmarken oder andere privaten Gegenstände dabei. Eine Aussage aus der Nachkriegszeit in den Akten der Staatsanwaltschaft, die in dem Buch „Mit Stacheldraht gefesselt – Die Rombergparkmorde. Opfer und Täter“, von Lore Junge, Seite 129, zitiert wird, besagt dass ein LKW nach der Fahrt zum Erschießungsort mit allen Kleidungsstücken zurückgekommen ist. Das widerspricht den Textstellen, die beschreiben, dass die Familien ihre Verwandten anhand von Kleidungsresten identifiziert haben. Wie kann es sein, dass nach mehreren Jahren eine große Zahl der westlichen Opfer identifiziert wurde? Welche Beweise gibt es für diese Behauptungen? In der Veröffentlichung – „Mit Stacheldraht gefesselt – Die Rombergparkmorde. Opfer und Täter“, L. Junge, wird nur beschrieben, dass mehrere Menschen verschiedener Nationen gefasst und später vielleicht zur Gestapo nach Hörde abtransportiert wurden. Reicht das als Beweis für die Eintragung in die „Opferliste“?
Wir versuchen den Beweisen zu folgen und uns ein Bild von den Nachforschungen zu machen. Die Identifizierung der ersten Opfergruppe, der Deutschen, ist trotz einiger Zweifel noch glaubwürdig. Warum werden in den Veröffentlichungen von Detlev Peukert, aus den Jahren 1976 und von Lore Junge, aus dem Jahr 1999 plötzlich die Namen von anderen Gestapo-Opfern genannt? Gab es eine wissenschaftliche Arbeit, die neue Dokumente ausfindig gemacht hat? Gibt es eine neue Beweislage? In den verfügbaren Publikationen wird nichts darüber berichtet. Als Grundlage der Veröffentlichungen werden die Namen aus früheren Publikationen genannt. Es stellt sich die Frage, ob es ausreicht einmal in einem Text zu erscheinen, um als Gestapo-Opfer, das in der Bittermark ermordet wurde, anerkannt zu werden?

Wir haben die verfügbaren Dokumente auf eine andere Art untersucht. Was haben alle genannten Namen gemeinsam? Unsere Ergebnisse zeigen, dass all diese Menschen in den letzten Monaten aus „politischen“ und „wirtschaftlichen“ Gründen verhaftet und zu einer Gestapostelle gebracht wurden. Das Wichtigste aber ist, dass alle diese Namen den Vermerk „entlassen“ oder „von Gestapo entlassen“ tragen. Die Gestapo hat diese Menschen nicht frei gelassen. Dieser Vermerk war für die Inhaftierten das Todesurteil. Ab und zu findet man noch Vermerke wie „Transport“, oder „ von Gestapo abgeholt“. Aber solche Vermerke bedeuteten bereits 1942 das Todesurteil. Das könnte bedeuten, dass möglicherweise alle Gestapo-Inhaftierten der letzten Kriegsmonate als Erschossene in der Bittermark gewürdigt werden könnten, weitere Nachforschungen sind deshalb unbedingt notwendig.
Ein besonderer Anlass für unsere Arbeit ist das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen. In Akten aus der Nachkriegszeit lesen wir, dass die meisten der in der Bittermark erschossenen Personen Ostarbeiter und Sowjets seien. Ein Dokument der britischen Kommission besagt, dass vermutlich 95 „Russen“ in der Bittermark ermordet wurden. In einem anderen Texten ist zu lesen, dass ein Widerstandskämpfer und vier Russen abtransportiert wurden. Die Gestapo-Akten zeigen, dass auch sowjetische Bürger in den letzten Monaten mit der Begründung „politisch“ oder „Arbeitsverweigerung“ in Gestapo – Haft genommen wurden. Und mindestens 87 von ihnen hatten als Vermerk „entlassen“. Weitere 20 „Russen“ haben den Vermerk „abtransportiert“. Bis heute wurde kein Name der Genannten unter den Überlebenden oder Befreiten gefunden. Selbstverständlich hat kein Mensch aus UdSSR eine Anfrage zum Verbleib ihrer Verwandten nach Deutschland gesandt. Während westliche Kriegsgefangene und Zivilisten mit ihren Familien die ganze Zeit Kontakt hatten, hatten „Sowjets“ keine Möglichkeit über ihre Unterbringung zu berichten. Sie waren und bleiben „unbekannte Opfer“ dieses grausamen Krieges. Dagegen müssen wir etwas tun!!!

16. März 1944 – schweres Grubenunglück auf der Zeche Hansa in Dortmund-Huckarde

Auf dem Friedhof in Dortmund-Huckarde befindet ein Gräberfeld mit 73 Grabsteinen, die Inschriften auf den Steinen sind verwittert und kaum noch lesbar. Die Grabsteine erinnern an die Bergleute, die vor 76 Jahren bei einem Grubenunglück ums Leben kamen.
Während des Schichtwechsels am 16. März 1944 ereignete sich auf Zeche Hansa ein schweres Unglück. Gegen 5.30 wurden mehrere Schlagwetterexplosionen in der 1. nördlichen Abteilung der 8. Sohle ausgelöst. Ausfahrende Bergleute berichteten von verletzten Kollegen. Schnell waren Grubenwehren aus mehreren Zechen zur Stelle. Sie konnten 37 Verletzte bergen. 94 Bergleute jedoch starben. 29 Toten wurden geborgen, 25 Deutsche und 4 Russen.
Die 25 deutschen Bergleute wurden auf dem Huckarder Friedhof, unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, beigesetzt. An der Trauerfeier nahmen mehr als 1000 Menschen teil. Die 4 Russen, sowjetische Kriegsgefangene, wurden nicht auf diesem Friedhof beigesetzt, sondern vermutlich auf dem Ausländerfriedhof am Rennweg begraben, ebenso wie wahrscheinlich auch 4 sowjetischen Kriegsgefangenen, die einige Tage später an ihren Verletzungen starben.
Zeitgenössische Veröffentlichungen geben an, dass 65 Bergleute, darunter 28 überwiegend sowjetische Kriegsgefangene, im Brandfeld blieben.
Vasilii Iwanowitsch Artijchin und Wasilii Iljitsch Wawilow gehörten zu den sowjetischen Kriegsgefangenen, die im Brandfeld blieben.



Vasilii Artijchin, geboren 6.6.1913, war von Beruf Schlosser. Am 17.7.1941 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er wurde im Stalag XI A in Dörnitz registriert und erhielt die Erkennungsmarken mit der Nr. 120554, ab November war er im Bau Batl.151, dann bei verschiedenen Arbeitskommandos. Am 9.9.1943 wurde er zum Stalag VI A nach Hemer überstellt. Ab Oktober 1943 war Vasilii Artijchin auf der Zeche Hansa. Seine Personalkarte trägt den Vermerk „Am 16.3.1944 inf. Grubenunglück auf Zeche Hansa, Dortmund Huckarde vermisst“.

Wasilii Iljitsch Wawilow, geboren am 14.1.1919, war von Beruf Bauer. Er wurde am 18.9.1941 gefangengenommen und im Stalag X B in Sandbostel registriert. Er erhielt eine Erkennungsmarke mit der Nr. 127642. Am 23.8.1943 wurde er nach Hemer, ins Stalag VI A, überstellt. Ab 28.8.1943 war er auf der Zeche Hansa. Auch seine Personalkarte trägt den Vermerk „Am 16.3.1944 inf. Grubenunglück auf Zeche Hansa, Dortmund Huckarde vermisst“.

Seit 1942 wurden auf den Zechen im Ruhrgebiet die zur Wehrmacht eingezogenen Bergleute durch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ersetzt. Auf der Zeche Hansa waren im Jahre 1944 54 % der Bergleute Kriegsgefangene oder Zivilarbeiter aus der Sowjetunion, aus Polen, Frankreich und Belgien. Sie alle waren in Huckarde in der Nähe der Zeche in Barackenlagern untergebracht und legten jeden Tag den Weg vom Lager zur Zeche zurück.
Das Grubenunglück vom März 1944 blieb in Huckarde in trauriger Erinnerung. Noch immer waren die meisten Bergleute nicht geborgen. Am 7. Januar 1952 brach man die Brandmauer auf der 8. Sohle auf. 10 Bergleuten wurden gefunden, die Identifizierung der Toten war nicht möglich. Zur Erinnerung an die Toten der Grubenunglücke von 1940 und 1944 auf der Zeche Hansa wurde am 16. März 1952 eine Bronzefigur, geschaffen von Wilhelm Wulff, eingeweiht.

Friedhof Huckarde

Luftbilder aus den 60ziger Jahren zeigen eine Neugestaltung des Gräberfeldes. 73 Grabkissen erinnern an die verunglückten Bergleute vom 16. März 1944. Auf den Steinen in der 2. und 3. Reihe finden sich auch die Namen von sowjetischen, französischen, polnischen und belgischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern, darunter auch die Namen von Wasilii Warwilow und Vasilii Artijchin.

Land der grünen Schilder

Für die Tätigkeit des historischen Vereins Ar.kod.M e.V. ist es wichtig zu wissen, wie Erinnerungsarbeit in anderen Städten und Bundesländern aussieht. So habe ich meine Freunde in Hamburg und Umgebung besucht. Zu meinem Programm gehörten Fahrten zu Gedenkstätten im ehemaligen Wehrkreis X. Die Wehrkreise waren Verwaltungseinheiten der Wehrmacht, insgesamt gab es 18 Wehrkreise in Deutschland und Österreich. Zum Wehrkreis X gehörte Hamburg, die gesamte Nordseeküste und die nordwestliche Ostseeküste bis Lübeck sowie das Hinterland.

Bereits auf der Fahrt zu den Gedenkstätten habe ich die vielen Schilder bemerkt, die auf die Erinnerungsorte und Friedhöfe hinwiesen. Die grünen Schilder tragen drei Kreuze, das Logo des Volksbundes Deutschen Kriegsgräberfürsorge e.V.

Den Besucher*innen zeigen Hinweisschilder am Straßenrand den Weg zu den Außenlagern der KZs und den Friedhöfe. Schon auf der Straße werden die Autofahrer*innen darauf hingewiesen, wie weit es vom jeweiligen Ortskern oder vom Parkplatz zum Erinnerungsort ist.

Nach dem Besuch der Gedenkstätten hatte ich den Gedanken „wie groß ist doch die Zahl solcher Erinnerungsorte in Norddeutschland“. Haben die Nazis im Norden Deutschlands noch brutaler geherrscht als an anderen Orten? Eine Karte in der Ausstellung des KZs Neuengamme weist eine vergleichbare Dichte von Arbeitskommandos und kleinen Lagern auf wie in ganzem Deutschen Reich. Aber in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zeigen die Verantwortlichen an zahlreichen Erinnerungsorten das ganze Ausmaß der Naziverbrechen. Auf allen Friedhöfen, auf denen Kriegsopfern begraben sind, werden die Grabplatten und die Stelen mit den Namen der Verstorbenen ständig erweitert, wenn weitere Namen durch neue Forschungsergebnisse vorliegen. Bei der Verwaltung der Friedhöfe liegen Dokument und Sterbebücher. Sie sind für Interessierte zugänglich. Die Namen der Menschen, die eingeäschert wurden, sind auf Gedenktafeln der Lager eingetragen. In den Gedenkstätten werden in Schaukästen die Forschungsarbeiten von Schülerinnen und Schülern gezeigt. Die Gedenkstätten werden auch bei schlechtem Wetter gut besucht.

Lässt sich daraus schließen, dass die Verantwortlichen im Norden Deutschlands ein größeres Interesse und mehr Mut haben, die Verbrechen der Nazis zu thematisieren?

Im Jahr 2020 – in Dortmund Erinnerungsorte für die Opfer der Naziherrschaft schaffen

Das Jahresende ist eine Zeit der Rückschau auf das vergangenen Jahr. So blicken wir zurück und fragen, was sich in Puncto Erinnerungsorte in Dortmund im Jahr 2019 bewegt hat. Der Gedenkstein an der Westfalenhalle wurde wieder aufgestellt. Das freut uns. Er soll an das Stalag VI D erinnern und an die vielen tausend Kriegsgefangenen, die von 1939 bis Anfang 1945 in der Westfalenhalle und in einen Lager auf dem heutigen Messegelände waren. Eine Gedenkstätte auf dem Messegelände für die Menschen, die im Stalag VI D gelitten haben und gestorben sind, fehlt bisher. Die Stadt Dortmund ebenso wie die Westfalenhallen GmbH zeigen leider bisher wenig Interesse an einer solchen Gedenkstätte. Wir fragen uns warum.

Aus dem Lager wurden viele tausend Kriegsgefangene an Betriebe in Dortmund und Umgebung vermittelt. Allein die Belegschaft bei Hoesch bestand während des Krieges zu mehr als einem Drittel aus Zwangsarbeiter*innen. An diese Menschen soll ein Denkmal auf der Kulturinsel im Phönix-See erinnern. Dies hat der Rat der Stadt Dortmund im Frühjahr 2019 beschlossen, auch das freut uns. Doch die Umsetzung dieses Beschlusses lässt auf sich warten. Auch der beschlossene Standort gibt Anlass für Fragen. Weshalb wurde für das Denkmal ein versteckter Ort hinter technischer Infrastruktur gewählt, statt es für die Bürger*innen sichtbar auf dem vorderen Teil der Kulturinsel zu platzieren, wo es auch vor Vandalismus geschützt wäre und zwischen der Thomasbirne und der Erinnerungstafel für das Stahlwerk Phoenix-Ost eine Geschichtsachse bilden würde.

Auch die Gestaltung eines weiteren Erinnerungsorts lässt nach wie vor auf sich warten. Gemeint ist die Neugestaltung des Internationalen Friedhofs am Rennweg. Dort sollten lange schon Stelen mit den Namen von mehr als 4400 sowjetischen Kriegsgefangenen, errichtet werden. Viele Kriegsgefangene, die in Betrieben in Dortmund und Umgebung Zwangsarbeit leisten mussten, wurden in das Stalag VI D zurückgeschickt, wenn sie von den Arbeits- und Lebensbedingungen entkräftet waren und krank wurden. Viele sind im Stalag gestorben und wurden auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg gegraben. Heute erscheint dieser Friedhof wie eine Parkanlage, die Verstorbenen scheinen vergessen. Die Stelen sollen an die Verstorbenen erinnern. Aber auch die Umsetzung dieses Vorhabens, das eigentlich noch 2019 begonnen werden sollte, macht keine Fortschritte.

Müssten nicht die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung in Dortmund und der Westfalenhallen GmbH, in Zeiten sich häufender rechtsextremer Vorfälle, ein besonderes Interesse daran haben an die Verbrechen der Nazis und die Folgen der Naziherrschaft zu erinnern? Im Jahr 2020 ist der 75. Jahrestag des Endes des 2. Weltkriegs und der Befreiung vom Faschismus. Wünschenswert ist,dass die Verantwortlichen in Dortmund das Jahr 2020 für eine Aufarbeitung der Stadtgeschichte während der Nazizeit nutzen, die bereits beschlossenen Projekte umsetzen und Erinnerungsorte in Dortmund schaffen.

Namenlosen Kriegsopfern ihre Namen zurückgeben- der Internationale Friedhof am Rennweg in Dortmund

In jedem Land der Erde gibt es auf Friedhöfen und Bestattungsorten  Symbole und Zeichen, die an die Verstorbenen erinnern. Viele Besucher*innen des Internationalen Friedhofs am Rennweg in Dortmund sind daher schockiert, wenn sie erfahren, dass die grünen Wiesen, auf denen sie stehen, in Wirklichkeit Gräber sind. Die Ruhestätten der Verstorbenen des 2. Weltkriegs haben ein sehr unterschiedliches Aussehen. Während sich auf den Gräbern von Verstorbenen deutscher Nationalität in der Regel ein Kreuz, oft sogar mit dem Namen, befindet, ist das auf dem Internationalen Friedhof nicht der Fall. Tatsächlich hat der Internationale Friedhof heute einen parkähnlichen Charakter. Für die polnischen und serbischen Opfer  wurden separate Grabfelder mit Grabmalen, die die Namen tragen, geschaffen, für die sowjetischen Kriegsopfer aber ist das nicht der Fall. Auf den Feldern der sowjetischen Kriegsopfer sind Obelisken, die in allgemeiner Form an die Zahl der Verstorbenen erinnern, aber nichts erinnert an den einzelnen Menschen. Das mag auch daran liegen, dass in der Nachkriegszeit viele Namen nicht bekannt waren. Viele der als unbekannt begrabenen Menschen waren Kriegsgefangene, die im Stalag VI D an der Westfalenhalle verstorben sind. Die Identität dieser Menschen war der Wehrmacht, der das Lager unterstand, bekannt. Die Namen wurden der Friedhofsverwaltung jedoch nicht mitgeteilt. Die Verstorbenen trug man als „unbekannt“ in das Sterbebuch beim Hauptfriedhof ein. Dieses Sterbebuch zeigt für die Zeit vom Herbst 1941 bis zum Frühjahr 1943 keinen einzigen namentlichen Eintrag. Die Personaldokumente der Verstorbenen wurden regelmäßig an die Wehrmachtsauskunftstelle gesandt. Die Kriegsgefangenen, die nicht namenlos begraben wurden, kamen aus den Arbeitskommandos, in denen sie Zwangsarbeit leisten mussten. Viele starben dort durch tödliche Arbeitsunfälle oder wurden auf der Flucht erschossen.

Die Stadt Dortmund hat die namenlosen Bestattung einer sehr großen Zahl von sowjetischen Kriegsgefangenen und von sowjetischen Zivilarbeiter*innen weder während des Krieges noch in der Nachkriegszeit hinterfragt. In der Nachkriegszeit wurden auf vielen Friedhöfen die Grabmarkierungen von den Gräbern entfernt, so auch auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg. Ein Kreuz oder ein Grabstein blieb den sowjetischen Kriegsopfern auch in der Nachkriegszeit versagt, da die damalige NRW-Landesregierung dies für zu kostenintensiv hielt.

Wie viele sowjetische Kriegsopfer tatsächlich auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg begraben sind, ist bis heute unbekannt. Kurz nach dem Krieg wurden verschiedene Zahlen genannt. So spricht ein Dokument aus der Sowjetunion von 17000 Verstorbenen, die dort begraben sind. Das Sterbebuch des Hauptfriedhofs für sowjetische Kriegsgefangene, das jedoch lückenhaft ist, und die Sterbeurkunden von Zivilarbeiter*innen weisen insgesamt 1755 namentliche Einträge auf und 3230 Einträge mit dem Vermerk „unbekannt“. Diese Zahl wurde in der Nachkriegszeit, auf Verlangen der Alliierten, von der Stadt Dortmund an die Bezirksregierung in Arnsberg gemeldet. Die sowjetischen Militärbehörden erhielten ebenfalls eine Nachricht über die Zahl der verstorbenen sowjetischen Bürger*innen.

An diesen Zahlen aus der Nachkriegszeit hält die Stadt Dortmund bis heute fest, obwohl Personaldokumente von verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen, die in Westdeutschland Zwangsarbeit leisten mussten, heute in verschiedenen Archiven zugänglich sind. So ist es durch umfangreiche Recherchen, die zu einem wesentlichen Teil von Dmitriy Kostovarov vom historischen Verein Ar.kod.M e.V. durchgeführt wurden, gelungen eine große Anzahl von Namen der auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg begrabenen sowjetischen Kriegsgefangenen zu ermitteln.

Gedenken auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund

Heute gibt es eine Namensliste mit 4466 Namen, die sowohl der Stadt Dortmund als auch dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und der Botschaft der Russischen Föderation vorliegt. Die tatsächliche Zahl der Bestattungen auf dem Internationalen Friedhof dürfte aber viel höher sein, als die dokumentierten 4985 Bestattungen. Es lässt sich eine größere Zahl von Todesfällen nachweisen, die nicht eingetragen wurden. Man muss also davon ausgehen, dass in den Kriegswirren wahrscheinlich nicht alle Bestattungen dokumentiert wurden. Die Beschäftigung mit diesem Thema zeigt, dass viele Schicksale noch im Dunkeln liegen. Es zeigt sich aber auch, dass heute viele Recherchemöglichkeiten in Archiven bestehen. Weitere Nachforschungen müssten von der Kommune selbst durchgeführt werden oder zumindest großzügig unterstützt werden, wenn sie von bürgerschaftlichen Initiative angestellt werden.

„Geschichtsachse“ oder „Konzertflügel im Busch“

In Russland gibt es ein geflügeltes Wort „Rojal w Kustach“, „der Konzertflügel im Gebüsch“, ein- bis zweimal im Jahr wird er für ein feierliches Konzert hervorgeholt, den Rest des Jahres ist er im Gebüsch vergessen. Es besteht die Gefahr, dass das geplante Zwangsarbeiter*innen-Denkmal, das demnächst auf der Kulturinsel im Phönix-See errichtet werden soll, ein ähnliches Schicksal erleiden könnte.

Im Frühjahr 2019 fasste der Rat der Stadt Dortmund endlich einen Beschluss: das Zwangsarbeiter*innen Denkmal soll auf der Kulturinsel im Hörder Phönix-See errichtet werden. Bis zu diesem Beschluss war es ein langer Weg. Von Dortmunder Bürger*innen wird seit vielen Jahren ein Ort gefordert, der an die Menschen, die in Dortmund Zwangsarbeit leisten mussten, erinnert. Vereine und Initiativen in Dortmund setzen sich seit Jahren für die Errichtung einer solchen Gedenkstätte ein. Immerhin gab es für ein Zwangsarbeiter*innen-Denkmal einen Wettbewerb am Fachbereich Architektur der FH Dortmund und eine glückliche Gewinnerin. Doch der prämierte Entwurf landete fürs erste in der Schublade. Nachdem die Entscheidung für die Errichtung des Denkmals gefallen war, musste die Gewinnerin des Wettbewerbs erst noch ausfindig gemacht werden, denn sie hatte inzwischen ihr Studium abgeschlossen und Dortmund verlassen. Da nun die Urheberfragen geklärt waren, hätte dem Bau des Denkmals nichts mehr im Wege gestanden. Am südlichen Ufer des Phönix-Sees wurde ein Platz gefunden, doch dann kamen Einsprüche von Anwohner*innen, die den tagtäglichen Anblick eines solchen Denkmals als Zumutung empfanden. Nach dem Ratsbeschluss im Frühjahr 2019 schließlich hätte der Errichtung des Denkmals nichts mehr im Weg gestanden, zumal auch die Finanzierung gesichert ist. Es fehlen nur noch die erforderlichen Baugrunduntersuchungen. Doch nicht nur der sich ständig verzögernde Baubeginn, sondern auch der Standort auf der Kulturinsel gibt Anlass zu Fragen und Kritik.

Geplanter Standort des Zwangsarbeiter*innen Denkmal auf der Kulturinsel. Der Pfeil zeigt den von uns vorgeschlagenen Standort

Wie zu erfahren war, soll der derzeit angedacht Standort auf Wunsch der Stadtspitze gewählt worden sein. Unglücklicherweise wird das Denkmal dort durch Bäume und Elektroverteiler verdeckt. Dieser eher abgelegene Platz auf der Kulturinsel dient den Besucher*innen heute für allerlei Zwecke. Er wird als Hundewiese genutzt, und da der Ort schlecht beleuchtet ist, wird er nachts für private Partys und anderes benutzt. Grund für die Standortwahl sei auch die Zurückgezogenheit des Ortes, doch nur sehr wenig spricht für einen solchen Standort für ein Denkmals, das an die Zwangsarbeit in Dortmund erinnern soll. Es steht dort versteckt hinter Infrastruktureinrichtungen und Bäumen und ist vom einzigen Zugang zur Kulturinsel nur eingeschränkt einsehbar. Die Rasenfläche hinter dem Denkmal könnte zukünftig verstärkt zu privaten Partys einladen und sogar das Denkmal selbst könnte Ort nächtlicher Vergnügungen werden. Die Lage birgt zudem die erhöhte Gefahr von Vandalismus. Dieser Ort ist schwerlich ein Erinnerungsort, der den Menschen das Schicksal von tausenden Zivilarbeiter*innen und Kriegsgefangenen, die in Dortmund Zwangsarbeit leisten mussten, näher bringt.

Warum erhält ein solches Denkmal keinen exponierten Platz auf der Kulturinsel? Soll es wie der „Konzertflügel im Busch“ ein oder zweimal im Jahr als Kulisse für Gedenkfeiern dienen, statt als Teil einer Geschichtsachse für die Dortmunder Bürger*innen ein sichtbarer Erinnerungsort an die bisher leider nur teilweise aufgearbeitet Geschichte der Zwangsarbeit in Dortmund zu sein. Die Belegschaften vieler Dortmunder Betriebe und Zechen bestanden während des 2. Weltkrieges zu fast 50 % aus Zwangsarbeiter*innen. Alleine Hoesch hatte nach eigenen Angaben, aus dem Jahr 1946 gegenüber der Britischen Militärverwaltung, mehr als 13 500 Arbeitskarten von sowjetischen Zwangsarbeiter*innen.

Denkmal: Zwei Brammen aus einer der letzten Hörder Schmelzen, im Hintergrund die Kulturinsel mit der Thomas-Birne


Das Denkmal auf der Kulturinsel muss zu einem Erinnerungsort werden und zusammen mit der Thomas-Birne auf der Kulturinsel und der Erinnerungstafel für das Stahlwerk Phoenix Ost am nahen Seeufer eine Geschichtsachse bilden.

Schwarze Löcher, weiße Flecken

Das Ende des 2. Weltkrieg in Europa am 8/9. Mai und der Sieg über den Nationalsozialismus war auch ein Neuanfang in Europa. Wie aber ist es heute um Europa bestellt? 75 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs zeigen Reden und Taten von Politiker*innen in Europa eine große Unversöhnlichkeit.
Im Jahr 1945 kapitulierte Nazideutschland. Die 50ziger und 60ziger waren eine Zeit des Schweigens und Verschweigens. Dieser Zeit folgte in den 70ziger und 80ziger Jahren eine Zeit der Diskussion und der Aufarbeitung. Die Kommunen gingen damit jedoch sehr unterschiedliche um. Die Dortmunder Stadtgesellschaft gedenkt in jedem Jahr in zahlreichen Veranstaltungen den Opfern der Naziherrschaft und erinnert an den Widerstand mutiger Menschen. Nur wenig Aufmerksamkeit in der Erinnerungsarbeit in Dortmund finden dagegen die zigtausenden Menschen, die in Dortmund Zwangsarbeit leisten mussten und das Stalag VI D an der Westfalenhalle, in dem von 1939 bis 1945 zigtausende Kriegsgefangene waren. Zwar erinnert ein Gedenkstein an das Stalag VI D, dennoch gibt es in der Stadtgesellschaft kaum Erinnerungen an das Lager an der Westfalenhalle.

Gedenkstein an der Westfalenhalle in Dortmund

Was sind die Gründe dafür? Sucht man in den Städten des Ruhrgebiet und des Rheinlands nach Dokumenten aus der Kriegs- und Nachkriegszeit über „sowjetische Kriegsopfer“, fällt auf, dass es zahlreiche Originaldokumente, Todeslisten, Grabpläne, Akten von Exhumierungen und Umbettungen gibt. Diese Dokumente liegen u.a. in örtlichen oder regionalen Archiven, aber auch beim Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution. Es handelt es sich hier oft um Unterlagen der Wehrmachtsauskunftstelle (WAST). Fotografien und Berichte vom Zeitzeugen sind in Büchern und Ausstellungskatalogen zu sehen und in Foto- und Kinoarchiven (z.b. Holocaust-Spielberg Sammlung, Washington). Die Dokumentenlage für Dortmund ist jedoch sehr spärlich. Tatsächlich hat die Stadt Dortmund im Bombenhagel große Schäden erlitten, aber das gilt auch für andere Städte in Westdeutschland, die dennoch über zahlreich Dokumente, z.B. Listen mit Namen von Kriegsopfer, verfügen.

Auf der Website der Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution zeigt die interaktive Karte mit Standorten von Dokumentenbeständen für Dortmund keine einzige Informationsquelle. Andererseits haben unsere weiteren Nachforschungen bei den Arolsen Archives ergeben, dass dort Dokumente liegen, die in Dortmund erstellt wurden, im Stadtarchiv Dortmund von uns bisher aber nicht aufgefunden werden konnten. Auch über das Stalag VI D, das bis zu seiner Bombardierung im März 1945 betrieben wurde, gibt es in Dortmund nur sehr geringe Dokumentenbeständen. Dokumente und Beweise, die Aufschluss über das Stalag VI D geben könnten, wurden befehlsmäßig vernichtet oder „durch die Bombardierungen zerstört“. Zeitzeugnisse, Papiere, Fotos, Unterlagen der Verwaltung sind gewissermaßen in einem schwarzen Loch verschwunden.

Im Stalag VI K in Stukenbrock und im Stalag VI A in Hemer, die beide etwa die Größe des StalagsVI D in Dortmund hatten, wurden nach ihrer Befreiung eine sehr große Anzahl Fotos aufgenommen und zahlreiche Filme gedreht. Für Dortmund gibt es lediglich 3 Fotos aus dem Psychiatrischen Klinikum in Aplerbeck und ein Kurzfilm über Aplerbeck, der 1 Minute 28 Sekunden lang ist und auf dem höchstwahrscheinlich auch die Exhumierungen in Warstein zusehen sind. Nach der Bombardierung des Stalag VI D befanden sich auf dem Dortmunder Stadtgebiet, auf Werks- und Zechengeländen und in Privatgebäuden, viele Lager und Arbeitskommandos, die zu einem großen Teil dem Stalag VI D unterstellt waren. Im Januar 1945 lebten mehr als 43000 ausländische Arbeitskräfte, darunter 15.000 Kriegsgefangene, in Dortmund. Auch wenn das Stalag in Dortmund durch Bombenangriffe schwerbeschädigt war, lebten in den Lagern der zahlreichen Arbeitskommandos, bis zum Einmarsch der Amerikaner Anfang April 1945, noch tausende Menschen. Es ist schwer vorstellbar, dass es keinerlei Fotos und Filmdokumente von der Befreiung dieser Lager geben soll. Zudem fehlen Dokumente über den Verbleib dieser Menschen nach ihrer Befreiung und über ihre Rückführung fast gänzlich.Nach offiziell amerikanischen Angaben wurden in Dortmund 4038 sowjetische Bürger befreit.

Während es sowohl über das Stalag VI K in Stukenbrock als auch das Stalag VI A in Hemer umfangreiche Veröffentlichungen gibt, sucht man eine solche für das Stalag VI D in Dortmund bisher vergeblich. Bürgerschaftliches Engagement, eine wissenschaftliche Aufarbeitung und die Errichtung von Gedenkstätten vor Ort haben dazu beigetragen, dass die Lager in Stukenbrock und Hemer nicht in Vergessenheit geraten konnten. Zwar wurde auf dem Gelände des Stalag VI D in Dortmund ein Gedenkstein erreichtet, eine stadtgeschichtliche Aufarbeitung fand aber bisher nicht statt. Noch immer fehlt eine Gedenkstätte auf dem Gelände der Westfalenhalle. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Dortmund in Bezug auf die Kriegsopfer, insbesondere auf die Kriegsgefangene aus der Sowjetunion, und auf das Stalag VI D, ist bisher nicht geschehen und so weist die Erinnerungskultur in Dortmund, auch mehr als 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, noch viele weißen Flecken auf.