Erinnerungsorte in Remscheid

Während des Krieges herrschte Arbeitskräftemangel, deshalb wurden hunderttausende Kriegsgefangene nach Deutschland gebracht. Viele Kriegsgefangene kamen ins Rheinland und nach Westfalen zum Arbeitseinsatz. Der Weg in den Westen des Deutschen Reichs dauerte oft tage- und wochenlang. Nicht nur große Betriebe, sondern auch private Haushalte, landwirtschaftliche Betriebe und Handwerksbetriebe konnten Arbeitskräfte bekommen. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Lagern und Arbeitskommandos waren so hart, dass viele Kriegsgefangene krank wurden und starben.

Wahrscheinlich gibt es nur wenige Gemeinden in Westdeutschland, auf deren Friedhöfen keine Gräber von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen zu finden sind. Eine Ausnahme sind heute nur die Gemeinden, die sich für Umbettungen entschieden haben. In den Kreisen Iserlohn und Paderborn beispielsweise nahm man Umbettung von kommunalen sowie von evangelischen und katholischen Friedhöfen auf Sammelgrabstätten in Hemer bzw. Stukenbrock vor. In den meisten anderen Orten in Nordrhein-Westfalen gibt es Grabstätten von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen. Es sind tausende Gräber und die Papiere über die Grabstätten befinden sich heute in vielen öffentlichen Stellen, in Verwaltungen und kommunalen Betrieben.

Über deutsche und ausländische Kriegstote in Remscheid und Umgebung liegen bei der dortigen Friedhofsverwaltung zahlreiche Dokumente. „Tausende Namen auf ca. 200 Seiten“ erklärte der zuständige Sachbearbeiter. Eine Tabelle zeigt, wer an welchem Ort begraben ist. Für sowjetische Bürgerinnen und Bürger sind vier Friedhöfe angegeben. Zwei Friedhöfe in Bliedinghausen, einer in Papenberg und einer in Lennep. In Papenberg gibt es 10 Gräber aus dem 1. Weltkrieg und zwei aus dem 2. Weltkrieg. In der Namensliste steht neben einer verstorbenen Zwangsarbeiterin auch ihr Kind.

Auf den beiden Friedhöfen in Bliedinghausen sind, nur 150 Meter voneinander entfernt, zwei Gräberfelder. Auf dem evangelischen Friedhof wurden ca. 520 Bombenopfer beerdigt, darunter 13 russische Zwangsarbeiterinnen namentlich und 24 für die „nicht anerkannte Nationalität“ abgegeben ist. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um Ostarbeiterinnen, die nicht identifiziert wurden. Dennoch hatten sie das Glück, auf dem Gräberfeld für Bombenopfer beigesetzt zu werden und ein eigenes Grab mit einem Kreuz zu erhalten.

Nur wenige Meter weiter, auf dem kommunalen Friedhof ist am Rande des Friedhofs eine mit Birken bestandenen Grünfläche und versteckt zwischen Büschen ein Stein mit der Inschrift „Hier ruhen 187 Frauen und Männer aus der Sowjetunion“ Die Namensliste enthielt 185 Namen. Warum also 187, wo liegt der Fehler? Nach intensiver Suche konnten, wenige Wochen später, die Personalkarten 1 für zwei weitere sowjetische Kriegsgefangene aufgefunden werden, die in Remscheid verstorben sind. Auf der Namensliste fehlten also 2 Namen. Über die Ergebnisse dieser Nachforschungen wurden das Grünflächenamt der Stadt Remscheid informiert.

Auf der Internetseite des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst gibt es die Information darüber, dass in Lennep noch ein weiterer Friedhof sein soll, auf dem „sowjetische“ Gräber sind. Am Rande des Friedhofs in Lennep ist tatsächlich ein Feld für „Ausländer“. Auf einem Kreuz lautet die Inschrift „Nina Alekseew – 25.12.1943 und Wladislaus Buda- 27.12.1943“ . Die Namen klingen „russisch“. In den Papieren der Behörden in Remscheid waren sie aber als „Nina, Alekseew 7 Jahre, 26.12.1943, Polin“, „Wladeslaus, Buda 44 Jahre, 21.07.1943, Pole“ eingetragen. Woher kommen die unterschiedlichen Sterbedaten? Für die deutschen Behörden sind die Einträge der Sterbedaten und der Nationalität aus den Namenslisten, die in der Nachkriegszeit aufgestellt wurden, die einzigen anerkannten Informationen. Für die 7-jährige Nina Alekseewa weitere Dokumente zu finden ist sehr schwierig, weil es für Kinder keine eigenen Papiere gibt. Vielleicht wird irgendwann ein Dokument gefunden, in dem Familienangehörige nach der „kleinen Nina, die Tochter einer überlebenden Zwangsarbeiterin“ suchen. Für Wladislaus Buda gibt es in der Datenbank OBD-Memorial eine Personalkarte 1. Ein Kriegsgefangener, „Buda, Wladislaw Antonowitsch, Mitte 40, Pole, registriert im Stalag X D, Wietzedorf in Niedersachsen) Vater – Anton, Mutter – Petrowskaja“. Als Familienangehörige hatte er eine Frau, die bei Kraków oder in Ljwow lebte, genannt. Er war schon am 6. Juli 1941 in Kriegsgefangenschaft geraten.
Aufgrund einer fehlerhaften Eintragung bei OBD-Memorial, wird dort angegeben, dass Buda am 24. Januar 1942 in Kaisersteinbruch in Österreich gestorben ist. Auf der Karte ist jedoch eingetragen, dass er am 12. Februar 1942 das „vierteilige Medikamente A 562 genommen hat“ Höchstwahrscheinlich wurde an ihm ein medizinisches Experiment durchgeführt. Die Personalkarte 1 hat in der Ecke, oben-rechts, ein „schwarzes Kreuz“, das bedeutet „verstorben“. Wann und wo er tatsächlich verstorben ist bleibt unklar.

Holzen – die schwierige Suche nach der Identität

Im Juni 2014 fand auf dem Friedhof in Holzen eine Begehung durch die Botschaft der Russischen Föderation, das Friedhofsamt Dortmund und den Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. statt. Geprüft werden sollte der Zustand der Gräber von sowjetischen Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen. Auf dem Friedhof befanden sich zwei separate Felder mit Gräbern und ein kleines Denkmal mit einer Inschrift in russischer Sprache „Hier ruhen 39 sowjetische Bürger, die von 1941 bis 1945 unter dem faschistischen Terror gelitten haben. Im ewigen Gedenken an die teuren Genossen“.
Im Friedhofsamt gab es eine Namensliste mit 39 Einträgen. 24 Einträge waren mit Namen versehen, bei allen anderen stand „unbekannt“. Viele Namen auf der Liste waren aber offensichtlich falsch geschrieben. Für eine erfolgreiche Suche der Familien nach ihren Angehörigen ist die richtige Schreibweise des Namens von entscheidender Bedeutung. Die Familien finden ihren Angehörigen nicht in den Datenbanken, wenn der Name falsch geschrieben ist. Die Namen, die erkennbar nicht der russischen Schreibweise entsprachen, wurden daher korrigiert. Bei der Arbeit mit historischen Dokumenten ist die Korrektur der Namen sehr problematisch, deshalb war es erforderlich jeden Namen mehrmals zu überprüfen. Um die Namen, die erkennbar nicht der russischen Schreibweise entsprechen zu korrigieren, müssen sie zunächst in kyrillische Buchstaben übertragen und in verschiedenen Schreibweisen in die Datenbank bei OBD Memorial eingegeben werden. Aufgrund dieser Anfragen erscheinen tausende Dokumente, die nach weiterführenden Details durchgesehen werden müssen.
Nach der Korrektur wurde aus Wasin Wafin, aus Irischa Irina, aus Borowsj Senien wurde Borowskij Semjon, aus Wernawa Warwara, aus Ratja Katerina, aus Sejey Sergej, aus Schapowalon wurde Schapowalow.
Alle Angaben müssen dann nochmals anhand von verfügbaren Dokumenten aus Archiven der Roten Armee überprüft werden.

Bei einigen Opfern waren in der Liste Informationen, z.B. eine Erkennungsmarkennummer, eingetragen. Erstaunlicherweise fehlte aber der Name und der Vorname. Zudem war bei mehreren Verstorbenen in Holzen als Sterbedatum das Jahr 1945 und die selbe Erkennungsmarkennummer angegeben. Das war falsch. Die deutschen Behörden, z.B. Kommunen oder die Wehrmacht, haben in ihren Dienststellen separat Dokumente geführt. Informationen, die in der Liste der Stadt nicht vermerkt wurden, sind möglicherweise in den Unterlagen der Wehrmachtsauskunftsstelle enthalten. Viele dieser Dokumente und Papiere sind heute bei OBD-Memorial zugänglich.
Für die meisten Kriegsgefangenen gibt es eine Personalkarte 1. Durch diese Personalkarte kann ihr Weg durch die Lager und ihr Schicksal verfolgt werden. Dank der Personalkarte 1 sind zusätzliche Informationen über die Opfer einfacher zu recherchieren. Für die Suche nach den Namen der Verstorben wurden zunächst die Erkennungsmarkennummern (EM-Nummern) aus der Namensliste des Friedhofsamts in der Datenbank von OBD-Memorial überprüft. Bei seiner Registrierung erhielt jeder Kriegsgefangenen eine Erkennungsmarke mit einer Nummer. In den verschiedenen Lagern wurde zwar gleiche Erkennungsmarkennummern vergeben, fast fortlaufende EM-Nummern lassen aber darauf schließen, dass die Verstorbenen alle im gleichen Lager und fast zeitgleich registriert wurden. Nach Eingabe der Erkennungsmarkennummern erschienen einige Personalkarten. Neben den Namen lieferten sie weitere Information, zum Beispiel das Arbeitskommando, in dem die Verstorbenen zuletzt gearbeitet hatten.

Nr. Name Erkenn.-
MarkenNr.
Name der Unbekannten
1  Wafin, Abdurachmann    
2 Akupo, Anatoli    
5 Artemjew, Irina    
3 Artemjew, Wassily    
4 Artonowitsch, Al.    
6 Borowskij, Semjon    
7 Dubkuwna, Anna    
8 Hawenko, Polina    
9 Liwara, Jan    
10 Netschepurenko, Fedosia    
11 Onoptschenko, Iwan    
12 Perehin, Katharina    
13 Peschko, Nikolei    
14 Pochlerne, Warwara    
15 Polochowitsch, Jakow    
16 Rusmin, Wasily    
17 Sakun, Katja    
18 Salnikowa, Natalja    
19 Schapowalow, Anna    
20 Schinkawenko, Luba    
21 Seluk, Wera    
22 Semag, Andreas    
23 Usenko, Boris    
24 Wolkow, Sergej    
25 unbekannt 80158 Shidenko,
Iwan Emeljanowitsch
26 unbekannt 19783 unbekannt
27 unbekannt 80523 Semenichin,
Jegor Jakowlewitsch
28 unbekannt 81257  unbekannt
29 unbekannt 81023 Korkin,
Fedor Egorowitsch
30 unbekannt 80265 Ljachow,
Pjetr Michajlowitsch
31 unbekannt 80292   unbekannt
32 unbekannt 79783 Sapon,
Michail Stepanowitsch
33 unbekannt 22159 Limoaschwili,
Jossif Schachowitsch
34 unbekannt 80158 Winogradov,
Stepan Antonowitsch
35 unbekannt 80158 Urwanzew, Mitrofan
Semjenowitsch
36 unbekannt 80158 Kosterin,
Alexandr Wasiljewitsch
37 unbekannt 80158 Ordewechow,
Scherim
Kobatirowitsch
38 unbekannt 20625 Tscherkaschin,
Iwan Iwanowitsch
39     Tschepajkin,
Pawel Fjodorowitsch

Für eines der 5 Opfer, für die die selbe Erkennungsmarkennummer angegeben war, gab es in der Datenbank bei OBD Memorial eine Personalkarte 1, die als Ort der Beisetzung den Friedhof Holzen und die Grabnummer nannte. Diese Personalkarte 1 war vollständig ausgefüllt. Neben dem Namen und dem Vornamen waren zahlreiche andere Daten, so auch das Arbeitskommando 2356 in Holzen, in dem der Verstorbene gearbeitet hatte, angegeben. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass die anderen 4 Kriegsgefangenen im gleichen Arbeitskommando waren. Nach der Durchsicht von rund 20.000 Personalkarten konnten 7 weitere Verstorbene identifiziert werden. Am Ende der Nachforschungen verblieben nur 3 Einträge in der Liste ohne Namen. Durch weitere Recherchen kann vielleicht noch aufgeklärt werden wer die Kriegsgefangenen mit den EM 19783, 81257 und 80292 waren.

Die Familienangehörigen des Kriegsgefangenen Wafin, der in früheren Listen als Wasin geführt wurde, haben dank der neuen Information das Grab ihres Verwandten gefunden und planen nun einen Besuch in Deutschland.

Ennigerloh -Ehrenamtliche bringen die Sache ins Rollen

Die Botschaft der Russischen Föderation hatte Ehrenamtliche, als Anerkennung für ihre Arbeit, zu einer Gedenkfeier nach Ennigerloh eingeladen. Dort sollte eine Grabstätte sowjetischer Kriegsopfer eingeweiht werden. Unter den Gästen war auch ein ehrenamtlicher Historiker aus Ennigerloh. Er berichtete, dass er sich schon viele Jahre mit dieser Grabstätte beschäftigt habe.

Alles hatte damit begonnen, dass er ein Gräberfeld auf dem Friedhof fand. Der Zustand der Grabstätte war katastrophal. Ein Zaun grenzte die Gräber vom übrigen Friedhof ab. Büsche und Gestrüpp hatten die 22 Grabplatten völlig überwuchert. Die Inschriften waren unleserlich. Das habe sein Interesse geweckt, berichtete er weiter. Alle Anfragen an die Verwaltung der Stadt Ennigerloh blieben jedoch ergebnislos. Danach stellte er eine Anfrage an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Auch dort hatte man keine Information. Die Anfrage wurde aber vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. an die Botschaft der Russischen Föderation weitergeleitet. Das Büro für Erinnerungsarbeit der russischen Botschaft nahm sich die Zeit in diesem Einzelfall zu recherchieren. Das Ergebnis war ein Dokument aus der Datenbank OBD-Memorial des Russischen Verteidigungsministeriums, eine Namensliste mit 22 Eintragungen aus dem Jahr 1946. Von 19 sowjetischen Bürger waren 5 als „unbekannt“ eingetragen. Die anderen 3 Eintragungen auf der Liste trugen die Bezeichnung „Pole“ und „unbekannte Nationalität“.

Zur Sanierung der Grabstätte riefen die Stadt Ennigerloh gemeinsam mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und der Botschaft der Russischen Föderation ein Projekt ins Leben. Zunächst wurde der Zaun entfernt, das Feld gesäubert, der Boden befestigt, alle Platten gereinigt und die Inschriften erneuert. Ein örtliches Unternehmen spendete eine hölzerne Tafel mit der Inschrift „Kriegsgräber“. An der feierlichen Eröffnung der Grabstätte nahmen unter anderem der Bürgermeister und ein Vertreter der Botschaft der Russischen Föderation teil und hielten Ansprachen. Es wurden Kränze und Blumen auf den Gräbern niedergelegt. Ein Schützenverein aus Ennigerloh begleitete die Gedenkfeier musikalisch.

Nach der Gedenkfeier kamen die TeilnehmerInnen noch ins Gespräch. Dabei ergab sich die Frage, weshalb die Namen fehlerhaft auf den Grabplatten eingetragen wurden. Um weitere Informationen ausfindig zu machen und die Schreibweise der Namen zu korrigieren, wären in Ennigerloh umfangreiche Nachforschungen erforderlich gewesen. Dazu fehlten dazu aber offenbar die Kenntnisse und die Zeit.

Weitere Recherchen zeigten, dass auf einigen Personal-Karten1 aus den Lagern keine Grabstätte angegeben war. Das erschwert die Suche, aber weitere Übereinstimmungen auf den Personalkarten1 führten zu Ergebnissen. So waren in weiteren Dokumenten bei OBD Memorial die Grabnummern einiger Opfer aus Ennigerloh angegeben. Als höchste Zahl war die Nummer 23 aufgeführt, obwohl in Ennigerloh nur 22 Grabplatten vorhanden sind, das heißt die Anzahl der Gräber ist möglicherweise höher. Aufgrund dieser neueren Nachforschungen konnte für 16 Namen die Schreibweise anhand der bei OBD-Memorial recherchierten Dokumente, korrigiert werden. Für 10 der 16 Namen konnte der Vatername zusätzlich ermittelt werden. Auch der Name eines Polen wurde gefunden. Der Bürgermeister von Ennigerloh und der ehrenamtlicher Historiker erhielten die Namensliste. Die Recherchen sind zudem im Internet veröffentlicht. Das ermöglicht den Familien das Grab ihres Angehörigen zu finden und es zu besuchen.

Suche in Bamenohl

Die meisten westdeutschen Städte haben einen oder mehrere Friedhöfe mit „russischen“ Gräbern. Auch Bamenohl ist keine Ausnahme. Ein Mitglied des katholischen Kirchenvorstands Bamenohl bat um Unterstützung bei seinen Recherchen und schrieb:

„Laut Ehrenmal auf unserem Friedhof liegen hier in Bamenohl: 13 russische Staatsangehörige. Die Inschrift – übersetzt ins Deutsche – lautet:

„Finnentrop-Bamenohl – auf ewig,
13 russische/sowjetische Genossen,
umgekommen in faschistischer Gefangenschaft
in Finnentrop 1942 -1945“


Von 10 Toten haben wir die Namen.
3 Tote wurden – laut Aktennotiz – unbekannt durch die „Stalag“ beerdigt, die Personalpapiere nicht weitergeleitet.“ Dem Brief war eine Namensliste beigefügt

„1.) Caryros, Simons, geb. 10.02.1901, Geburtsort unbekannt, gest.16.12.1943
2.) Kulik, Naum, Geburtstag und Geburtsort unbekannt, geb. 1896, gest.17.12.1942
3.) Knoalenko, Hzohozi, geb. 01.10.1901, Geburtsort unbekannt, gest. 23.12.1943
4.) Lukeyano, Pisto, Geburtstag und Geburtsort unbekannt, gest.07.12.1942
5.) Siederof, Iwan, geb. 05.11.1893, Geburtsort unbekannt, gest. 6.02.1943
6.) Zorick, Vörda ,Geburtstag und Geburtsort unbekannt, gest. 27.02.1943
7.) Gladkow, Ivan, geb. 06.12.1899 in Statoteretschewo, gest. 02.09.1942
8.) Nichaillow, Petro, geb. 17.09.1922, Geburtsort unbekannt, gest. 12.04.1945
9.) Nedboi, Andri, Geburtstag und Geburtsort unbekannt, gest. 12.04.1945
10.) Bowtala, Wasil, geb. 21.10.1912 in Kiew, gest. 13.03.1945“

Viele Namen klangen nicht russisch. Caryros Simon? Hzohozi? Siederof Iwan? Nichailow Petro? Lukeyano Pisto? Zunächst ging es darum, die Fehler in der Schreibweise der Namen zu korrigieren. Nach der Korrektur wurde aus dem Namen Siderof – Sidorow, aus Nichailow – Michajlow, aus Lukeyano Pisto wurde Lukjanenko Petr Kuzmitsch. Bei OBD- Memorial gab es für einen Kriegsgefangenen namens Kowalenko, Grigorij Alekseewitsch eine Personalkarte 1. Die Karte enthielt zahlreiche Daten über die Lager und die Arbeitskommandos (AK), in denen er versklavt wurde, die für weitere Recherchen sehr hilfreich waren. Aus dem verfälschten Namen Knoalenko Hzohozi wurde Kowalenko, Grigorij Alekseewitsch. Nach Überprüfung von rund 2000 Personalkarten 1 bei OBD-Memorial, konnten drei weitere Namen gefunden werden, dasselbe Lager, dasselbe Arbeitskommando, fast dasselbe Sterbedatum. Die drei „Unbekannten“ aus dem Stalag haben durch diese Recherchen ihre Namen zurückerhalten: Lomaschenko, Pawel Iwanowitsch; Skripnikow, Dmitrij Petrowitsch; Masenkow, Nikolaj Warlamowitsch. Der Name eines weiteren Verstorbenen, der auf dem katholischen Friedhof liegt, konnte durch die Recherche gefunden werden: Oserow, Zachar Pawlovitsch. Durch kleine persönliche Details in den Dokumenten, wie Orte und ein Datum, gelang es auch den Verstorbenen Caryros, Simon ausfindig zu machen. Er hieß in Wirklichkeit Gontscharow, Semen Klimentjewitsch und kam aus Kasachstan. Auch an ihn wird jetzt in Bamenohl erinnert.

Der geschäftsführende Vorsitzende des katholischen Kirchenvorstandes Bamenohl war sehr erfreut, als er die Ergebnisse der Recherchen erhielt und fragte weitere Unterstützung für Recherchen auf weiteren Friedhöfen in der Gemeinde Finnentrop-Bamenohl an.

Sehr geehrter Herr Kostovarov,

vielen herzlichen Dank für Ihre umfangreichen Recherchen. Was wäre ich ohne Sie?

Fast alle tote Zwangsarbeiter, die in Bamenohl beerdigt wurden, waren bei den Mannesmann Röhrenwerke Finnentrop im Einsatz. Das Werk befindet sich genau zwischen den Orten Bamenohl und Finnentrop.
In Bamenohl befand sich das Gefangenenlager -für Mannesmann- in der Schützenhalle. Hier waren ca. 300 russische Gefangene untergebracht. Wer im Lager starb, wurde auf dem nächsten Friedhof beerdigt.
Dieses war dann der Katholische Friedhof Bamenohl.

Der Evangelische Friedhof Bamenohl lag nur 300 m vom Werk Mannesmann entfernt. Starb einer im Werk wurde er auf dem kürzesten Weg, dem evangelischen Friedhof Bamenohl begraben.
Hier liegt auch noch junges Mädchen begraben, dass mit 19 Jahren den Freitod wählte. Hierzu habe ich die Sterbeurkunde:
Ludwigowa Wiera, geb. am 30.12.1923 in Omsk, gestorben am 21.12.1943.…Ein weiteres Gefangenenlager befand sich bei der Deutschen Reichsbahn in Finnentrop.Wer hier starb, wurde auf dem Katholischen Friedhof in Finnentrop beerdigt. Auch hier habe ich noch 2 Kinder von russischen Zwangsarbeiterinnen gefunden. (Sterberegister) …..


Mit vielen Grüßen aus dem Sauerland

Auf dem evangelischen Friedhof in Bamenohl wurde nach Angaben der Personalkarte 1 und einer Sterbeurkunde, die bei OBD-Memorial liegen, Jaworski, Ilja, Lawrentjewitsch beigesetzt.
Für den katholischen Friedhof in Finnentrop stand nur der Schriftwechsel aus den Jahren 1960-1970 zur Verfügung. Durch die Suche bei OBD-Memorial konnten vier Namen ermittelt werden.

Tscherkasow, Fedor Egorowitsch, gestorben 28.07.1942
Litwin, Petr, gestorben 01.05.1944
Kutil, Onoprij, gestorben 30.12.1944
Bojschenko, Platon, gestorben 05.04.1945


Deutsche Soldaten

Neben 28 Millionen sowjetische Kriegsopfern sind auch 8 Millionen Deutsche ums Leben gekommen. Das Schicksal vieler deutscher Gefallener ist ihren Familien nicht bekannt. Der Tod wurde zwar registriert, doch viele Familien wissen bis heute nicht, wo ihre Angehörigen gestorben sind und wo sie begraben wurden. Einige suchen nicht, weil sie das Vergangene vergessen wollen, andere wissen nicht, dass Nachforschungen möglich sind. Nach deutschem Recht darf nur die Familie eine Suche initiieren. Angehörige haben manchmal noch Dokumente und Briefe aus der Kriegszeit, aber sie wissen nicht wie sie mit der Suche beginnen sollen.
In der Anfrage eines älteren Herrn, die aus einem Ort bei Kiel kam, hieß es, dass seine Mutter das letzte Lebenszeichen seines Vaters von einem seiner Kameraden erhalten habe. Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft sei er zu seiner Mutter gekommen und habe über ein Treffen mit seinem Vater erzählt. Dieser sei zu damals sehr krank gewesen und befand sich in einem Lagerlazarett. Er habe noch Hoffnung gehabt wieder nach Hause zu kommen.
Es gab noch einige Briefe mit der Nummer des Lagers. Mit der Unterstützung von Ehrenamtlichen in Russland gelang es, Dokumente und Pläne von den Lagern in der betreffenden Region zu beschaffen und zu prüfen. Der Gesuchte war an den Folgen seiner Erkrankung, am 3.1.1946, im Lazarett des Lagers N 15, gestorben und wurde auf dem Friedhof des Stadt Prokopijewsk in Sibirien unter der Nummer 674 begraben. Leider existiert dieser Friedhof nicht mehr. Es ist unwahrscheinlich, dass der Sohn in seinem Alter nach Sibirien fährt, aber er hat jetzt Gewissheit.

In einem anderen Fall hatte eine Familie Briefe, wusste aber nicht wo ihr Angehöriger gefallen war. In einem Brief schrieb er „nach dem Urlaub in Frankreich fahren wir wieder an die Ost-Front nach Stalingrad“. Ein Brief hatte die Anschrift der 16. Panzer-Division und eine Feldpostnummer. Der Gesuchte war aber offenbar in der 6. Panz.Div., die von März bis November 1942 in Frankreich war. Weitere Recherchen zeigten, dass diese Division bei Stalingrad, im Ortsteil Tatarskaja, durch die sowjetischen Artillerie erhebliche Verluste erlitten hatte. Es ist unwahrscheinlich, dass in einem solchen Fall ein Grab existiert, aber den Ort, an dem ihr Angehöriger vermutlich gefallen ist, kennt die Familie jetzt.

Eine andere Familie hatte die Briefe eines Angehörigen und den Brief seines Hauptmanns mit der Todesnachricht. Sie fragten nach dem Krieg nicht danach, wo er beerdigt ist oder ob es überhaupt ein Grab gibt. Ein Schriftwechsel mit dem „Volksbund – Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“ in Kassel, ergab, dass der Gesuchte bei Kriwoi Rog gefallen ist. Wegen der Situation in der Ukraine ist die Suche nach den Überresten und die Umbettung nach Deutschland nicht möglich. Der Gefallene wurde aber in das Ehrenbuch der Stadt Kirowograd eingetragen. Die Familie war froh über das Ergebnis der Suche, um das zu unterstreichen, sagten sie – „wenn alle Deutschen Informationen über solche Möglichkeit hätten, wüssten vielen Familien mehr über das Schicksal ihrer Angehörigen.“

Hückeswagen-wenn man mit Angehörigen spricht

Einen großen Teil meiner Tätigkeit nimmt die Begleitung von Familienangehörigen ein, die das Grab ihres Verwandten besuchen wollen. Die Menschen finden Information über Suchaktionen im Internet und kontaktieren den Autor oder Ehrenamtliche. Manche erfolgreiche Recherche endet mit dem verständlichen Wunsch das Grab zu besuchen.
Die Probleme, die die Familienangehörigen dann haben sind immer die gleichen: fehlende Deutschkenntnisse, Schwierigkeiten ein Hotel zu finden und mit öffentlichen Verkehrsmitteln an den Ort zu gelangen, an dem sich das Grab befindet. Meine Landesleute aus der ehemaligen Sowjetunion und ich bieten unsere Hilfe bei den Reisevorbereitungen und auf der Reise in Deutschland an, dazu nutzen wir unsere Netzwerke.
2014 hatte ich zum ersten Mal Kontakt mit Swetlana aus Moskau. Nach einer Diskussion im Internet über die richtige Schreibweise von Namen, hat sie ihren Großvater gefunden. Nach dem Krieg hat die Ehefrau des Verstorbenen, Swetlanas Großmutter, viele Jahre nach ihrem Mann gesucht und versucht etwas über sein Schicksal herauszufinden. Bevor Swetlanas Großmutter 2003 starb, versprach die Enkelin weiterzusuchen. Ihre Treue und Geduld wurde belohnt. Sie hat im Internet Informationen über das Grab ihres Großvaters gefunden. Wie immer war die erste Frage, die nach einem Foto der Grabstätte.
Der Friedhof, auf dem Swetlanas Großvater begraben ist, hat eine idyllische Lage, er ist in gutem Zustand. Es handelt sich um einen Friedhof, der sich auf einem privaten Grundstück befindet, der Friedhof wird regelmäßig gepflegt. Auf dem Friedhof sind 44 umfriedete Einzelgräber. Auf jedem Grab war damals ein Stein mit der Grabnummer. Am Eingang des Friedhofs steht eine Friedenskapelle, zweimal täglich läuten die Glocken. Dieser Ort ist bei den Menschen in Hückeswagen sehr beliebt. In den vergangenen Jahren haben viele Veranstaltungen und Gottesdienste in der Friedenskapelle stattgefunden. Einmal in Jahr legt der Bürgermeister einen Kranz nieder und viele Bürgerinnen und Bürgern nehmen an der Kranzniederlegung teil.
Auf dem Friedhof befindet sich ein Felsblock mit einer zweisprachigen Namensliste. Leider sind viele Namen falsch geschrieben. Der örtliche Geschichtsverein und der Eigentümer des Grundstücks, der Mitglied dieses Vereins ist, haben bei ihren Nachforschungen die Namen aus verfügbaren Dokumenten abgeschrieben. Sie hatten als einziges Dokument eine Liste, die nach dem Krieg von der Kommune für die britische Kommission erstellt wurde.

Swetlana war es als Erster der 44 Familien geglückt den richtige Namen und das Grab ihres Großvaters zu finden. Die ganze Familie hatte entschieden eine Grabplatte auf dem Grab aufzustellen. Die Reisevorbereitungen, das Visum, das Buchen des Hotels und der Flüge haben uns viel Zeit und Nerven gekostet, aber eines Tages war es soweit und Swetlana kam in Düsseldorf an. Wenn jemand mit zahlreichen Kränzen und einer übergewichtigen Marmorplatte zur Zollkontrolle kommt, gibt es immer viele Fragen. Aber alle Fragen sind unwichtig, wenn die Zollbeamten die Kopie der Personalkarte 1 eines Kriegsopfers sehen. Für das Übergewicht der Marmorplatte musste Swetlana dennoch zusätzliche Frachtgebühren zahlen. Nach einer kurzen Begrüßung sind wir zum Grab des Großvaters gefahren. Am gleichen Tag haben wir zusammen die Platte auf dem Grab Nummer 1 aufgestellt. Dieser Abend war sehr emotional und tränenreich. Die ganze Woche über haben wir die 44 Grabumrandungen von Moos und Grün gereinigt. Die Leute aus dem Ort haben uns dabei unterstützt. Der Eigentümer war sehr warmherzig und hat sich an die Presse gewandt, die über Swetlanas Besuch berichtet hat. In der kleine Stadt Hückeswagen, die nur 16.000 Einwohner hat, leben fast 2000 Bürgerinnen und Bürger aus der ehemaligen Sowjetunion, die durch Swetlanas Besuch von dem Friedhof und den Gräbern erfahren haben.
Als Swetlana, nach ihrem Urlaub, wieder nach Moskau geflogen ist, haben wir uns auf dem Flughafen versprochen, alle Namen der Verstorbenen für die Familien ausfindig zu machen. Aus Moskau hat Swetlana unsere Suchaktion weiter betrieben. In kurzer Zeit haben wir für fast alle Namen die richtigen Schreibweise gefunden und die Namen um den Vaternamen ergänzt und diese dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und der russischem Botschaft mitgeteilt. Von Moskau aus hat meine Bekannte die Familie des Verstorbenen in Grab 3 in Russland gefunden und kurz danach die Familie für das Grab Nummer 8. Geplant war nun auf weiteren Gräbern Grabplatten aufzustellen. Da sich der Abstimmungsprozess zwischen den Beteiligten hinzog, hat Swetlana die Platten für die ersten drei Gräber aus eigener Tasche bezahlt und mich um Hilfe gebeten. Aus ästhetischen Gründen sollte zwischen dem 1. und 3. Grab keine Lücke sein und auf den ersten 3 Gräbern Platten aus Marmor aufgestellt werden. Ich musste die günstigste Lösung finden. Swetlana hatte Kontakt mit der Familie aufgenommen, dessen Angehöriger in Grab 2 beerdigt ist. Diese Familie stellte nun eigene Recherchen an. Eine Urenkelin hat sogar über ihren Urgroßvater und sein Schicksal in Deutschland ein Referat in ihrer Schule gehalten. So habe ich erfahren, dass der Kriegsgefangene von Grab 2 zusammen mit meinem Großvater, im Jahr 1937, bei Dynamo Kiew Fußball gespielt hat.

2016 haben der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und die Botschaft der Russische Föderation ein Projekt begonnen. Auf allen Gräbern sollten Grabplatten mit den Namen der Verstorbenen aufgestellt werden. Nach meinen Recherchen wurde eine Namensliste mit den vollständigen Namen in kyrillischer Schrift und den Grabnummern angefertigt. Ein Steinmetz aus Dorsten, mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion,

hat auf seinen Arbeitslohn verzichtet und nur das Material berechnet. Die ganze Umgestaltung des Friedhofs wurde von Freiwilligen durchgeführt. Swetlana hat noch einige Male ihren Urlaub im Hückeswagen verbracht. Bei der Reinigung und Instandhaltung der Gräber hat sie viele Freunde und Bekannte gefunden.

Auch die Mitglieder des Vereins „Kreisgeschichte“ haben großes Interesse an der Neugestaltung des Friedhofs gezeigt und mir weitere Informationen gegeben. Ich habe herausgefunden, dass auf dem kommunalen Friedhof in Hückeswagen, am Rand des Friedhofs, das Feld F existierte. Auf diesem Feld lag eine Platte mit der Inschrift „Hier ruhen 10 Russen, 1 Belgier, 1 Pole und 1 unbekannte Nationalität“, ohne Namen, ohne Grabreihe. Das war für mich Anlass genug für neue Recherchen. Ich begann meine Suche im Archiv in Remscheid und parallel bei OBD-Memorial. Dort fand ich 10 Namen von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen mit Sterbedatum und Grabnummer. Die Grabnummern gehen mit Lücken von 211 bis 224. In Remscheid war noch ein weiteres Dokument mit dem Namen eines Jungen, der in Hückeswagen gestorben ist. Das Datum passte genau zu einer Lücke in den laufenden Grabnummern. Ich bin davon ausgegangen, dass es sich um den Namen des „Unbekannten“ handelt. Für einige Gestorbene habe ich die Personalkarte 1 gefunden und konnte daher für diese Opfer den Namen noch um den Vatername ergänzen. Aufgrund dieser Ergebnisse wurde ein weiteres Projekt des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und der Botschaft der Russische Föderation begonnen. Heute gibt es auf Feld F des kommunalen Friedhofs in Hückeswagen zwei Platten mit elf Namen in lateinischer und kyrillischer Schrift.
So hat die Anfrage von Swetlana auch zu einer vollständigen Namenslisten von Kriegsopfern in einem kleinen Ort im Bergischem Land geführt.

Opferzahlen aus der Nachkriegszeit und Nachforschungen heute

Die Erinnerung an die Opfer des zweiten Weltkriegs, die als Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen in deutschen Lagern ihr Leben verloren haben, basiert in Westdeutschland auf Datenerhebungen, die der alliierte Kontrollrat durchführen ließ. In jedem Ort mussten kommunale deutsche Verwaltungen Zahlen über die verstorbenen Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen und die Bestattungsorte zusammenstellen, dabei konnten sie nur auf Dokumente aus deutschen Verwaltungen und Betrieben zurückgreifen. Von 1945 bis 1953 sammelten die Vertreter der vier Siegermächte Daten über die Verbrechen der Nazis und fertigten Namenslisten an. In der Regel sandten Offiziere der jeweiligen Militärverwaltung Anfragen an die städtischen Verwaltungen, um Opferzahlen und Namen zu erhalten. Die Antworten, die von den Alliierten nicht in Zweifel gezogen wurden, bildeten die Grundlage für Ergebnisprotokolle. Am Ende ergab sich die Zahl der Opfer und eine, für die damalige Zeit, annähernd vollständige Namensliste der Kriegsopfer. Die Alliierten erstellten für jeden noch so kleinen Ort Ergebnisprotokolle und legten die Opferzahlen fest. Die Erfassung der Namen erfolgte nach Nationalitäten getrennt. Später wurden in Lagern und Behörden weitere Karteien und Archive gefunden. Da waren die Ergebnisprotokolle mit den Opferzahlen bereits angefertigt und kommuniziert.

Während des Krieges sind Dokumente von verstorbenen Kriegsgefangenen an die WASt (Wehrmachtsauskunftstelle) nach Berlin gesandt worden. Für Dokumente, die durch Bombenangriffe zerstört wurden, sind bei der WASt häufig Ersatzdokumente erstellt worden. Leider ging ein Teil dieser Dokumente in den letzten Monaten des Krieges in den Kriegswirren für immer verloren.
Erst Jahre später wurden die Dokumente der WASt nach Nationen aufgeteilt, katalogisiert und erforscht. Diese Aufteilung war erst in den 1960er Jahren abgeschlossen. Dennoch wurden die Opferzahlen in den Kommunen in den allermeisten Fällen nicht korrigiert.

Heute stehen für Nachforschungen zahlreiche Archive zur Verfügung, in denen eine sehr große Zahl Dokumente lagern, die Aufschluss über die Identität der Verstorbenen geben können. Diese Dokumente zeigen uns heute das Ausmaß der Verbrechen.
Das Arolsen Archives, International Center on Nazi Persecution https://arolsen-archives.org/
ermöglicht Recherchen und Anfragen. Bei der Dokumentationsstelle Dresden steht die „Datenbank sowjetische Kriegsgefangene“ zur Verfügung https://www.stsg.de/cms/dokstelle/content/auskuenfte/sowjetische-buerger/kriegsgefangene/datenbank/db-kriegsgefangene
Über 3 Mio. Dokumente von Verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen befinden sich im Gesamtarchiv des Verteidigungsministeriums der Russische Föderation (Общая База Данных – Мемориал OBD-Memorial) in Podolsk bei Moskau www.obd-memorial.ru

Zu den Beständen gehören Dokumente aus der Kriegszeit und der Nachkriegszeit, u.a. Todeslisten, Arbeitshefte aus Betrieben, Arbeitskarten, Transportlisten und Überführungskarten und Namens- und Opferlisten, die im Auftrag der Alliierten nach Kriegsende angefertigt wurden. Alle diese Dokumente sind für Interessierte offen auf den Internetseite von „OBD-Memorial“ zu sehen und sie ermöglichen heute neue Erkenntnisse durch Informationen, die nach dem Krieg nicht zugänglich waren. Mithilfe von Dokumenten der Roten Armee kann die falsche Schreibweise des Namens in vielen Fällen korrigiert werden. Der Zugang zu diesen Dokumente macht es möglich fast vollständige Namensliste von Kriegsopfer zu erstellen. Die Resultate dieser Nachforschungen ergeben höhere und viel glaubwürdiger Zahlen von Opfern, die in einem verbrecherischen Krieg gestorben sind.

Reihe zwei, Zweiter von links

Mehr als 80 Jahre galt Abdul Junussow als vermisst. Seine Ehefrau hatte aus Duschanbe in Taschikistan zweimal eine Anfrage zum Verbleib ihres Mannes nach Moskau gesandt. Die Antwort lautete „ Vermisst bei Charkow “ 2017 stellte der Enkel, mit Unterstützung von Experten, Nachforschungen im Internet an. „Bereits nach einer halben Stunde hatte ich die Antwort“ berichtete er. Einer der Experten hatte Abdul Junussows Personalkarte 1 gefunden und antwortete: „Dein Großvater war als Kriegsgefangene in Westdeutschland. Er war im Stalag VI K in Stukenbrock und kam von dort ins Stalag VI A in Hemer, gestorben ist er im Kreis Unna.“ Ein Stempel auf der Personalkarte 1 besagt, dass Abdul Junussow Kriegsgefangener in Heeren-Werwe im Arbeitskommando 72 war und durch „Brustquetschung“ ums Leben kam. Wahrscheinlich hatte er einen tödlichen Arbeitsunfall unter Tage. Die Karte gibt an, dass er auf dem Evangelischen Friedhof Heeren-Werve „Reihe 2, 2. von links“begraben ist. Im Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution gibt es einen Plan des Friedhof, auf dem die Gräber verzeichnet sind.

Die Vorbereitung einer Reise nach Deutschland dauerte dann noch zwei Jahre. Mit Unterstützung des historischen Vereins „Ar.kod.M“ besuchte Abdul Junussows Enkel, zusammen seiner Frau, Anfang September das Grab seines Großvater. Er brachte eine kleine Platte mit einem Gedenkspruch mit und Erde vom Grab seiner Großmutter. Am Grab des Großvater hielt er eine kurze muslimische Trauerzeremonie ab.



Gedenken in Stukenbrock

Am 7. September fand auf dem russischen Soldatenfriedhof des ehemaligen Stalag 326 in Stukenbrock die alljährliche Mahn- und Gedenkveranstaltung statt. In einer sehr persönlichen Rede erinnerte der Schauspieler Rolf Becker an das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen. Er kritisierte die NATO und die Außenpolitik der Bundesregierung und betonte die besondere Verantwortung Deutschlands für die Erhaltung des Friedens.

In der Zeit von 1941 bis 1945 befand sich in Stukenbrock eines der größten Lager für sowjetische Kriegsgefangene. Von hier aus wurden sie zur Zwangsarbeit nach Westdeutschland, insbesondere ins Ruhrgebiet, gebracht. Viele Tausend starben jedoch bereits im Stalag 326 an Hunger, Krankheit und Vernachlässigung. Ein Obelisk, der 1945 von Überlebenden des Lagers errichtet wurde, trägt die Inschrift
„Hier ruhen die in faschistischer Gefangenschaft zu tode gequält 65000 russischen Soldaten. Ruht in Frieden Kameraden
1941-1945

Das letzte Lebenszeichen kommt aus Gelsenkirchen

Für die meisten Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die im Krieg ihren Vater oder ihren Großvater verloren haben, ist es wichtig zu wissen, wo ihr Angehöriger bestattet ist und einen Ort des Gedenkens und der Erinnerung zu haben.

Nadeshda und ihre beiden Söhne hatten, mit Unterstützung verschiedener Organisationen in Russland, viele Jahre nach ihrem Vater und Großvater gesucht. Die Suche war sehr schwierig. Das Researche Centre in Jekaterinburg fand zwar Dokumente, wichtige Daten, wie der Vatername, der bei Namensgleichheit für die Identifizierung des Toten besonders wichtig ist, und das Geburtsdatum stimmten nicht. Da das Researche Centre keine deutschen Dokumente ausgewertet hatte, konnte die Identität nicht eindeutig bestimmt werden. Ar.kod.M erklärte sich bereit die Suche zu unterstützen, weitere Nachforschungen anzustellen und auch Dokumente deutscher Stellen auszuwerten. Schließlich wurde in Gelsenkirchen eine Personalkarte 1 mit Angaben gefunden, die zu dem Verstorbenen passten. Leider war der Ort, an dem er begraben wurde, nicht genau bezeichnet.

Die Familie entschloss sich trotzdem nach Gelsenkirchen zu fahren und den Ort, an dem ihr Vater und Großvater die letzten Monate seines Lebens verbracht hat, kennen zu lernen. Ar.kod.M hat die Familie auf dieser Reise begleitet. In Gelsenkirchen besuchte sie Friedhöfe, auf denen sowjetische Kriegsgefangenen begraben sind. Vermutlich hat Nadeshdas Vater vor seinem Tod auf einer Zeche in Gelsenkirchen gearbeitet, deshalb besuchte die Familie auch Schacht Hugo II in Gelsenkirchen-Buer.