Immerwährende Erinnerung

Der Historische Verein Ar.kod.M hat am 22. Juni sein Projekt „Holz ist kein Marmor“ fortsetzen und 4 weitere Holztafeln auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund aufgestellt. Das Datum ist bewusst gewählt.

Am 22. Juni 1941 überfiel Hitlerdeutschland die Sowjetunion und führte einen Vernichtungskrieg. Dabei ging es nicht nur um die Vernichtung der Staatlichkeit. Es ging um Lebensraum im Osten, dafür sollten Millionen Menschen in der Sowjetunion sterben oder versklavt werden.


Doch der Vernichtungskrieg gegen die Menschen aus der Sowjetunion und Osteuropa setzte sich auch im Ruhrgebiet fort. Die Menschen wurden verschleppt und mussten auf den Zechen, den Stahlwerken und den Betrieben im Ruhrgebiet Zwangsarbeit leisten. Den Menschen mangelte es an ausreichender Nahrung, angemessener Kleidung. Sie litten unter katastrophalen Wohnverhältnissen und fehlender medizinischer Versorgung. Sie mussten bis zur völligen Erschöpfung arbeiten. Die Gefahr Arbeitsunfälle zu erleiden war doppelt so hoch wie bei deutschen Arbeiter*innen. Viele starben an diesem harten Leben. In Dortmund legen tausende Gräber auf dem Internationalen Friedhof davon Zeugnis ab.

Mit den 4 Holztafeln erinnern wir an:

Andrej Turanskij, 44 Jahre, Pjotr Olenikow, 68 Jahre, sind auf dem Internationalen Friedhof auf Feld 6 begraben.

Grigorij Loginow, 51 Jahre und Stepan Gozakow, 35 Jahre, sind auf dem Internationalen Friedhof auf Feld 8 begraben.

Über Andrej Turanskij, Pjotr Olenikow und Grigorij Loginow ist wenig bekannt. Wir wissen nichts über ihr Leben und ihr Sterben in Dortmund. Wir haben nur ihre Namen, ihr Alter und ihren Sterbetag in langen Todeslisten gefunden.

Einzig von Stepan Gozakow wissen wir mehr.

Stepan Gozakow wurde am 30.7.1909 im Dorf Tursona im Gebiet Orlow geboren, verheiratet war er und von Beruf Müller. Als Rotarmist geriet er am 11.7.1943 in deutsche Kriegsgefangenschaft und durchlief verschiedene Lager bis er schließlich im August 1943 auf die Zeche Hansemann nach Dortmund Mengede kam. Im Juni 1944 brachte man ihn auf die Zeche Minister Stein, wo er am 16.8.1944 einen Arbeitsunfall erlitt und seinen schweren Kopfverletzungen erlag. Drei Tage später begrub man ihn auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg auf Feld 8, Grabnummer 5. Da war er 35 Jahre alt.

Holz ist kein Marmor

4 weitere Holztafel auf dem Internationalen Friedhof aufgestellt

Der Internationale Friedhof erinnert heute mit seinen weitläufigen Rasenflächen mehr an einen Park als an einen Friedhof. Die meisten Toten haben keinen Grabstein, keine namentliche Erinnerung. In ihrer großen Mehrzahl blieben die sowjetischen Kriegsopfer hier bis heute namenlos und leider lässt die geplante Aufstellung der Namensstelen, die den Verstorbenen ihren Namen und damit auch ein Stück ihre Würde zurückgeben könnte, auf sich warten. Deshalb errichtete der Historische Verein Ar.kod.M hier auf dem Internationalen Friedhof vier weitere Holztafeln. Doch Tafeln aus Holz können die erwarteten Namensstelen nicht ersetzten, denn Holz ist kein Marmor.

Wir erinnern an:

Roman Egorenko und Konstantin Sklerow

Roman Egorenko wurde im Jahr 1890 geboren. Über sein Leben und sein Schicksal als Zwangsarbeiter in Dortmund wissen wir nichts. Er starb am 4. Juli 1942 in Dortmund und wurde auf dem Internationalen Friedhof in Dortmund begraben. Seine Bestattung war die erste uns bekannte auf Feld 4.

Konstantin Sklerow wurde im Jahr 1924 geboren. Man verschleppte ihn zur Zwangsarbeit nach Dortmund. Am 2. August 1943 starb er in Dortmund und wurde auf dem Internationalen Friedhof begraben. Seine Bestattung war die letzte uns bekannte von Zivilisten auf Feld 4.

Wir erinnern an:

Georgij Maganakow und Georgij Gebnischwili

Georgij Gebnischwili wurde am 23. August 1900 in Dorf Tschimljak bei Tiflis geboren, er war verheiratet. Am 22. September 1942 geriet er bei Naltschik in deutsche Kriegsgefangenschaft. Sein letzter Arbeitseinsatz war in Dortmund Hörde. Er starb am 31. Dezember 1943 und wurde auf dem Internationalen Friedhof begraben. Seine Bestattung war die erste uns bekannte auf Feld 7.

Georgij Maganakow, wurde im Jahr 1904 geboren, von Beruf war er Bergarbeiter. Am 10. Juli 1942 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er kam in das Mannschaftsstammlager VI K danach nach Dortmund und von dort zum Arbeitseinsatz auf die Zeche Hansa in Huckarde. Er starb 11. September 1944. Seine Bestattung war die letzte uns bekannte auf Feld 7.

Kinder waren die unschuldigsten Opfer

Mit der Aufstellung von weiteren Holztafeln auf den Grabfeldern 9, 13 und 19 gedachte der Historische Verein Ar.kod.M e.V. am 2. Mai 2023 vier Menschen, die auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg begraben sind.

Die Holztafeln erinnern an:
zwei Erwachsene – Sinaida Bakumenko und Hasi Fardinow

und an zwei Kindern – Nikolaj Scharpan und Karina Sewostjanowa

Das Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und ihrer Kinder war besonders tragisch. Die jungen Frauen und Mädchen wurden zumeist aus der Ukraine verschleppt. Bis zum Herbst 1942 wurden Schwangere aus der Zwangsarbeit entlassen und in ihre Heimat zurückgeschickt, danach gab es keine Entlassung aus der Zwangsarbeit mehr. Geburten und Sterbefälle in den Lagern, in denen Zwangsarbeiterinnen aus der ehemaligen Sowjetunion waren, wurden von der Stadt Dortmund mitleidlos registriert. Der kleine Nikolaj Scharpan wurde nur ein Jahr alt. Seine Beerdigung ist als letzte Besetzung auf dem Feld Nummer 9 eingetragen. Sein trauriges Schicksal teilten leider viele Kinder. Mehr als 100 Kinder sind auf Feld 9 begraben. In Grab 202 wurden Maria Tischinirowa, 1 Jahr und Iwan Iwantschuk, beerdigt, in Grab 203 Stanislaw Bonas, 4 Wochen, und Wasilij Makow, 2 Jahre. Die Beisetzung von Kindern setzte sich fort bis zum Grab 300. Dort liegen Zhanetta Stepanowa, 1 Jahr, und Nikolaj Scharpan, ebenfalls 1 Jahr. Insgesamt sind 117 Todesfälle von Kindern auf dem Internationalen Friedhof offiziell registriert. Die lückenhaften Registrierungspapiere lassen noch weitere verstorbene Kinder vermuten.

Ihre Mütter mussten auch während der Schwangerschaft und nach der Geburt schwerste Arbeit leisten. Die Ernährung war schlecht, eine gesundheitliche Versorgung für die jungen Mütter und ihre Kinder gab es nicht. Die Frauen hatte kaum Möglichkeiten ihre Kinder zu versorgen, so hatten die Kinder nur geringe Überlebenschancen. Genau das war die Absicht der Nazis. Diese Kinder sollten nicht überleben, ihre Mütter wurden nur als Arbeitskräfte gebraucht.
Auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg sind Beerdigungen von Kindern auf den Felder 9, 13 und 19 bekannt. Diese Kinder sind die unschuldigsten Opfer des Krieges, wir erinnern an diese unschuldigen Seelen mit besonderer Erschütterung.

Vier Holztafeln erinnern an sowjetische Kriegsopfer

Der Historische Verein Ar.kod.M errichtete auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund vier Holztafeln. Erinnert wird mit diesen Holztafeln an :

Michail Danilowitisch Liwar
Er wurde 1907 in Poltawa geboren, er war verheiratet. Am 17. Februar 1942 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft. Sein letzter Arbeitseinsatz war in Dortmund Eving. Er starb am 11. Januar 1943 an Herzschwäche und wurde in Grab 1 auf Feld 3 begraben.

Mark Sabeljewitsch Bolschakow

Er  wurde 12. September 1912 im Dorf Lewina geboren. Am 23. Juni 1941 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft. Gemeinsam mit Alexej Pawlowskj, unternahm er am 22. Dezember 1943 einen Fluchtversuch. Bei diesem Fluchtversuch wurden beide erschossen. Mark Bolschakow ist, ebenso wie Alexej Pawlowskij, auf Feld 3 begraben.

Fratia Pawlowa
Sie wurde im Jahr 1915 geboren. Über ihr Leben und ihr Schicksal als Zwangsarbeiterin in Dortmund wissen wir nichts. Sie starb am 17. Mai 1945 in Dortmund und wurde auf Feld 19, Grab 67, begraben. Ihre Beerdigung dort ist das erste bekannte Begräbnis auf Feld 19.

Illarion Maiborod,
Er wurde am 20. Oktober 1904 in Stalino, dem heutigen Donezk, geboren. Fälschlicherweise wird er bis heute unter dem Namen Illarion Ualibard geführt.  Er wurde nach Dortmund zur Zwangsarbeit verschleppt. Am 12.September 1944 starb er in Dortmund und wurde auf Feld 9 begraben.

Wie für große Mehrzahl der sowjetischen Kriegsopfer, gibt es auch für die vier Verstorben bisher keine namentliche Erinnerung, keinen Grabstein, keine Namensstele. Sie sind bis heute namenlos. Mit der Aufstellung  der vier Holztafeln sollen die vier Verstorben ihre Namen zurückerhalten.

Gleichzeitig soll die Aufstellung der Tafeln eine Mahnung für die Stadt Dortmund sein endlich die 58 geplanten Stelen mit den Namen der sowjetischen Kriegsopfer auf dem Internationalen Friedhof zu errichten, denn Holz ist kein Marmor. Holztafeln können die geplanten Stelen nicht ersetzen.