Am 2. Mai 1945, genau einen Monat nach der Befreiung des Stalag 326 (VI K) Senne, weihten die ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Friedhof, der ganz in Nähe des Lagers war, einen Obelisken ein. Dieser Obelisk trägt in russischer, englischer und deutscher Sprache die Inschrift:
HIER RUHEN DIE IN DER FASCHISTISCHEN GEFANGENSCHAFT ZU TODE GEQUÄLTEN 65000 RUSSISCHEN SOLDATEN – RUHET IN FRIEDEN KAMERADEN! 1941-1945
Am Ostermontag, dem 2. April 1945, übergab die Wehrmacht das Stalag 326 (VI K) in der Senne kampflos an US-amerikanischen Truppen. Bereits seit Ende März war die Lagerleitung handlungsunfähig. Der sowjetische Arzt Wladimir Semjonowitsch Siltschenko, der sich als Kriegsgefangener im Stalag befand, erinnerte sich: „31. März. Das Lager befand sich faktisch in den Händen der Kriegsgefangenen. … Die Deutschen zeigten sich nicht mehr im Lager und die Mitarbeiter des sowjetischen Stabes bewegten sich frei auf dem Lagerterritorium. In jeder Baracke führten sie Gespräche über die entstandene Situation, über die bevorstehende Befreiung und die Notwendigkeit, zu Kämpfen bereit zu sein.“ (Quelle: Das Stammlager 326 (VI K) Senne 1941-1945, Sowjetische Kriegsgefangene als Opfer des Nationalsozialistischen Weltanschauungskrieges, K. Hüser, R.Otto, Verlag Regionalgeschichte, Bielefeld 1992, Seite 172)
Fast 5 Jahre war das Stalag 326 (VI K) in der Senne ein Ort des Leidens und Sterbens für tausende Kriegsgefangene. Im Mai 1941 begann die Wehrmacht dieses Lager in der Senne zu errichten. Für wen es gebaut wurde, zeigte sich nach dem Überfall auf die Sowjetunion. Anfang Juli kamen die ersten sowjetischen Kriegsgefangenen hier an. Auf dem Lagergelände befanden sich zu dieser Zeit weder Unterkünfte noch sanitäre Anlagen für die Gefangenen. Mit minimalen Lebensmittelrationen waren sie sich selbst überlassen. Viele starben an Vernachlässigung, Hunger, Krankheiten und fehlender medizinischer Versorgung. Die Baracken und Einrichtungen des Lagers wurden erst später von den Gefangenen errichtet. Ab November 1942 erhielt das Stalag 326 (VI K) auf Drängen der Reichsvereinigung Kohle u.a. die Funktion eines zentralen Aufnahmelagers für sowjetische Kriegsgefangene, die im Ruhrbergbau eingesetzt werden sollten. War ein Kriegsgefangener für den Bergbau einsatzfähig, wurde er nach der Registrierung, Entlausung und ärztlichen Untersuchung in das Stalag VI A nach Hemer versandt und von dort auf die Zechen im Ruhrgebiet verteilt. Mehr als 300.000 sowjetische Kriegsgefangene durchliefen das Stalag 326 (VI K).
In einem in der Zeitung „Roter Stern“ 1958 veröffentlichten Artikel erinnert sich Generalsmajor Viktor Fedorowitsch Choperskij, der im April 1945 als sowjetischer Kriegsgefangener im Stalag 326 war. “Im April 1945 öffneten sich die Tore des Lagers Freiheit, Freiheit, Russen, Polen, Jugoslawen Franzosen umarmten sich, küssten sich, weinten… Aber nicht allen gelang es, den Tag der “zweiten Geburt“ zu erleben… Dem Blick öffnete sich ein weites Feld mit den Hügeln der unbekannten Gräber. Hier ruht die Bevölkerung einer ganzen Stadt.…“ Es entstand der Wunsch, an die tausenden im Lager umgekommen zu erinnern. „Wir können nicht so wegfahren beschlossen die ehemaligen Gefangenen. Wir errichten den Kameraden ein Denkmal. Möge es ewig daran erinnern, was Faschismus ist. Tage und Nächte arbeitete der Soldat und Künstler Alexander Mordan, er schuf eine Skizze nach der anderen auf der Suche nach einer steinernen Verkörperung der Gefühle der tiefen Trauer und des Glaubens an die Zukunft. Ihnen half Kapitän Smirnov, ein Leningrader Ingenieur für Wärmetechnik, der die Arbeitszeichnungen machte.
Sie beschlossen, ein fast 10 m hohes Denkmal zu errichten. Zum Ausheben der Grube kamen zuerst 12 Freiwillige und nach einigen Tagen arbeiteten schon etwa 200 Menschen. Der Wärmetechniker N.P. Smirnov wurde technischer Bauleiter.
Die Ausschachter und Verputzer, die das Denkmal mit Marmor verkleideten, Betonierer, Schlosser und Steinmetze arbeiteten so schnell, dass es schien, als ob auf dem Platz unaufhörlich ein menschliches Fließband arbeitete. Alle 10 Minuten wechselten die Schichten – eine größere Anstrengung hielt der Organismus nicht aus. An ihre Stelle traten andere. Und so vom frühen Morgen bis zum späten Abend. In Rekordzeit formte die Schlosserbrigade von Pavel Blozkij aus Schienen der ehemaligen Lagerschmalsparbahn ein metallenes Skelett für das Denkmal. Zum ersten Mal in seiner Praxis begann Ingenieur Viktor Choperskij, der Leiter des Baues wurde, die Arbeit ohne mechanische Hilfsmittel. Ständig war er im Einsatz. Gemeinsam mit einigen Kameraden fuhr er in einem alten Geländewagen „villis“ durch die ausgebombten Städte und suchte nach Marmor, Granit, bunten Kacheln und Fliesen. Er war sowohl ein diplomatischer Leiter wie ein technischer Leiter und sogar Spediteur. Der Bau erhielt störungsfrei alles Notwendige. Und dann war das Denkmal fertig. Tag und Nacht stand eine Ehrenwache….Die ehemaligen Gefangenen richteten den ganzen Friedhof her. Sie machten eine monumentale Umzäunung, einen Platz für die Trauerzeremonien, stellten marmorne Tafeln auf die Gräber..“ Quelle: Stalag 326 Stukenbrock, Hrsg. Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock e.V., 4. Auflage
Der Arzt Wladimir Semjonowitsch Siltschenko erinnert sich: „Am 2. Mai wurde das Denkmal nach einer Trauerfeier enthüllt. Den Blicken der Anwesenden bot sich ein 9,5 Meter hoher heller Obelisk, verkleidet mit Marmor, Granit und Keramikplatten. Das Denkmal schmückte eine rote Fahne aus Kunststoff (mit Hammer und Sichel). Bei der Enthüllung des Denkmals waren zugegen: 9000 befreite Häftlinge des Lagers 326; viele Sowjetbürger aus den umliegenden Lagern; polnische und jugoslawische Soldaten, die sich im benachbarten Lager befanden; amerikanische Soldaten und deutsche Einwohner von Stukenbrock.“ Quelle: Das Lager 326, Augenzeugenberichte, Fotos, Dokumente, Hrsg. Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock e.V., Porta Westfalica 1988, Seite 51.
In der Nachkriegszeit wurde die Rote Fahne vom Obelisken entfernt und durch ein orthodoxes Kreuz ersetzt. Alle Bemühungen, das ursprüngliche Aussehen des Obelisken wiederherzustellen, blieben bis heute erfolglos.
Und ein weiteres Denkmal wurde auf dem benachbarten Gemeindefriedhof errichtet. Im Jahr 1941 erschoss die Wehrmacht, der das Stalag 326 (VI K) Senne unterstand und die es bewachte, 42 sowjetische Offiziere wegen Arbeitsverweigerung. Sie wurden auf dem nahen Friedhof der St.-Achatius Gemeinde begraben. Nach der Befreiung errichteten ehemaligen Gefangenen des Stalags dort ein Denkmal für die Ermordeten. Es trug in russischer, deutscher und englischer Sprache die Inschrift.
„Hier ruhen russische Soldaten – die ersten Opfer der faschistischen Gefangenschaft 1941 – 1945“
Das Denkmal wurde, mit Genehmigung des damaligen nordrhein-westfälischen Innenministers, in der Nachkriegszeit gesprengt. Der Verbleib der sterblichen Überresten der 42 ermordeten Offiziere ließ sich bis heute nicht klären und ist ungewiss. Die sterblichen Überreste einiger Ermordeten sollen umgebettet worden sein und erlebten eine wahre Odyssee. Zunächst sollen 21 Gebeine nach Bielefeld gebracht worden sein von dort zum Friedhof des Lagers nach Stukenbrock, wo sie beigesetzt worden sein sollen. Heute steht auf dem Platz des kleinen Denkmals ein Mahnmal für die Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.