Am Nachmittag des 2. April 1945 wurde das Stalag 326 (VI K) Stukenbrock in der Senne befreit. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich im Lager etwa 10.000 Kriegsgefangene, darunter etwa 1000 Kranke im Lazarett. Für die Bewachung des Lagers waren nur noch etwa 50 Wehrmachtssoldaten zurückgeblieben. Ab dem 20. März waren amerikanische Truppen an das Lager herangerückt. Aufseiten der Wehrmacht gab es verschiedene Auffassungen wie mit dem Stalag umgegangen werden sollte. Einerseits bestand die Auffassung, das Lager mithilfe der in Augustdorf stationierten SS zu verteidigen, andererseits gab es die Auffassung, das Lager kampflos zu übergeben. Dadurch war das Lager aber von deutscher Seite praktisch führerlos geworden. Die deutsche Lagerleitung hatte auch die Versorgung der Kriegsgefangenen eingestellt, obwohl noch Lebensmittelmittel im Lager waren.
Im Lazarett des Stalag hatte sich Ende März bereits eine Initiativgruppe bestehend aus sowjetischen Offizieren gebildet, der unter anderen Oberst Kurinin und die Militärärzte Siltschenko und Matwejew angehörten. Sie hatten zu diesem Zeitpunkt gewissermaßen die Leitung des Lagers übernommen und baten um eine Unterredung mit dem deutschen Lagerkommandanten. Diese Unterredung fand am Vormittag des 2. Aprils statt. Die sowjetische Delegation forderte unter anderem die sofortige Versorgung und die künftige Selbstversorgung der Gefangenen mit Lebensmitteln sowie die Übergabe des Lagers in die Verwaltung der sowjetischen Initiativgruppe. Der Militärarzt Oberstleutnant Matwejew berichtet über diese Unterredung: „Wir erläuterten dem deutschen Lagerkommandanten, dass die Gefangenen kein Brot bekämen und die Küche aufgehört habe, Essen zuzubereiten, so dass die Gefangenen durch den Hunger bis zum Äußersten gebracht würden. Der deutsche Oberst war gezwungen, uns zuzustimmen in Bezug auf die Unhaltbarkeit der geschaffenen Lage und gab in unserer Anwesenheit den Befehl, für die Gefangenen Nahrungsmittel auszugeben. Dieser Befehl wurde sofort ausgeführt, denn als wir nach der Zusammenkunft mit dem Kommandanten durch die Baracken gingen, um die Gefangenen zu beruhigen und ihnen zu sagen, dass die Befreiung nahe sei, wurde zu dieser Zeit bereits Brot, Zucker und Margarine verteilt.“
Um 14.00 Uhr erreichten die amerikanischen Truppen das Lager. In den folgenden Tagen organisierten die Amerikaner die Versorgung für die ehemaligen Kriegsgefangenen. „Es gab Dauerkeks, Büchsenmilch, Fruchtkonserven, Milchpulver und anderes“ berichtete G.M. Matwejew. Die Ernährung für die ehemaligen Gefangenen verbessert sich, sie wurden neu eingekleidet und jeder erhielt ein Bett mit Bettzeug. Die Kranken wurden in Krankenhäuser verlegt. Die Initiativgruppe übernahm die Organisation des Lagers.
Am Tag nach der Befreiung ging die neue Lagerführung auf den Friedhof der Kriegsgefangenen in Stukenbrock. Der Militärarzt Siltschenko schildert, was sie sahen: „36 große Massengräber, jedes 116 Meter lang und 2,20 Meter breit, die sich auf freiem Feld befanden. Die Grabhügel waren 10 bis 12 cm hoch und ragten kaum über die Erde. Eines der Gräber war noch nicht zugeschüttet, und man sah die Leichen, manche völlig nackt, manche in Papiersäcken, in sechs Schichten übereinander…Die Führung fasste den Entschluss, das Andenken an die zu früh umgekommenen Sowjetsoldaten zu verewigen“ So fertigte der Künstler A.A. Mordan, der selbst Gefangener des Lagers 326 war, einen Entwurf für ein Ehrenmal an.
Die Fotos und die Zitate der Zeitzeugenberichte sind dem Buch „Das Lager 326, Augenzeugenberichte, Fotos, Dokumente“, Herausgeber Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock, Porta Westfalica, 1988, entnommen
Wir forschen weiter, um die Schicksale der Opfer der Bittermark zu klären. Mehrere Veröffentlichungen über die Menschen, die in letzten Tagen des Krieges in Dortmund getötet wurden, zeigen, dass vorallem die Bemühungen der Familien die Identifizierung ermöglicht hat. 12 Ermordete wurden von Familienangehörigen identifiziert. Später wurde diese Liste auf 33 Personen erweitert. Die Möglichkeit ihre ermordeten Angehörigen zu identifizieren hatten aber nur Familien in Deutschland, doch auch in der ehemaligen Sowjetunion haben Familien nach ihren Angehörigen gesucht. Die unten beschriebenen Fälle zeigen die Möglichkeiten, die den Familien in der ehemaligen Sowjetunion, in allen 15 Sowjetrepubliken, zur Verfügung standen, um nach ihren Angehörigen zu suchen.
Trofim Efimowitsch Litwin
So hat die Mutter vom Trofim Efimowitsch Litwin 1949 einen Suchantrag gestellt.
Übersetzung des Suchantrags nach Trofim Efimowitsch Litwin
Fragebogen zur Suchaktion nach einem Rotarmisten
Fragen
Antworten
1. Name , Vorname, Vatername
Litwin, Trofim Efimowitsch
2. Geburtsdatum
1917
3. Geburtsort, Gebiet, Bezirk, Dorf/Stadt
Gebiet Poltawa, Bezirk Kobelezkij, Dorf Komarowka
4. Durch wen und wann mobilisiert
Oktober 1939, Mobilisierungspunkt Stadt Poltawa
5. Dienstgrad
Rotarmist
6. Letzter schriftlicher Kontakt
15.09.1941, (der Ort war von den Deutschen besetzt)
7. Poststempel der letzten Adresse
Gemäß Poststempel auf dem letzten Brief vom 21.2.1941, Feldpost-Nr. 35-10. 594 I.D
8. Letzter Wohnort vor der Mobilisierung
Stadt Poltawa, Komsomolskaja Straße 49
9. Zusätzliche Information über den Gesuchten
auf der beigefügten Photographie ist ersichtlich, dass Litwin, T.E. seinen Dienst bei der 591. Inf.Div. der Moldawischen SSR, Stadt Beljzy tat
13. Persönliche Entscheidung des Leiters des Militäramts zum Schicksal des Kriegsdienstleistenden
vermisst seit Oktober 1941
14. Grund für die verspätete Suche
Wir hatten keine bestätigten Dokumente und keine genaue Dienstadresse. Wir sandten einen Brief nach Moskau, erhielten aber keine positive Antwort
Anlagen: 1. Photographie von Litwin, T.E.,2. Bestätigung aus dem Amt des Dorf Komarowka, 3. Vorderseite eines Kuverts
Nr- 17
Leiter des Amtes
28. März 1949
Oberstleutnant xxxxxx
Militäramt Kobeljskij
Entscheidung: Als vermisst registriert
Die Bearbeitung der Suchanfragen hatten überall den gleichem Ablauf. Nachdem die Familienangehörigen einen Suchantrag bei der örtlichen Militärbehörde gestellte hatte, prüfte diese alle Angaben und sandte den Antrag nach Moskau. Dort wurden verschiedene Quellen abgefragt: „Gefallene und Registrierte in Verlustlisten“, „Verwundete und Evakuierte“, „Gefangene“ u.s.w. Wurde der Name des Gesuchten gefunden, suchte man nach weiteren Informationen. War die Suche erfolglos, wurde eine Sammelliste nach Orten erstellt und an die anfragende Stelle zurück gesandt. Vor Ort teilte die Militärbehörde den Angehörigen mit, dass der Gesuchte als „vermisst“ gemeldet ist und stellte den Bescheid für die Zahlung einer Rente aus.
Anwar Hassanowitsch Isaew
Suchantrag der Familie Isaew
Übersetzung der Suchanfrage der Familie Isaew
Fragebogen
1. Name, Vorname, Vatername
Isaew, Anwar Hassanowitsch
2. Geburtsdatum
1920
3. Geburtsort
Dorf Atenino, Bezirk Tunguschewkij, Mordowskaja, ASSR (Zentralrussland)
4. Durch welches Militäramt einberufen
Naukatskij, Mobilisationspunkt Bezirk Osch
5. Dienstgrad
Rotarmist
6. Amt in der Roten Armee
7. Adresse der Einheit im letzten Brief
keinen Brief erhalten
8. Wann ist die briefliche Verbindung abgebrochen
im November 1941
9. Wohnort vor der Mobilisierung
Aul Iski-Naukat, Bezirk Naukatskij, Gebiet Osch (Kirgisische SSR)
10. Zusätzliche Informationen über den Gesuchten
keine
11. Falls es Informationen über den Tod gibt, machen Sie Angaben wo und wann
keine
12. Wer sucht
Isaew, Hassan Iljasowitsch
13. Familiäres Verhältnis zum Gesuchten
Vater
14. Wohnort
Stadt Fergana, Schtschörss Straße 10 Usbekische SSR
15. Persönliche Entscheidung des Leiters
wegen fehlender Information im Militäramt gehe ich davon aus, dass er vermisst ist
Entscheidung: Registrieren als „vermisst“ seit Dezember 1941, Bescheid (für die Zahlung der Rente) herausgeben
Leiter des Amtes, 17.04.1958 Oberstleutnant xxxxxxx
Anton Kirillowitsch Grebenjuk
In der Regel wurde nach dem Krieg von den Stadtverwaltungen in jedem Haushalt Abfragen nach Vermissten macht. Das örtliche Militäramt erstellte nach diesen Angaben Listen, auf denen die Rotarmisten eingetragen waren, die nicht zurückkehrten. Diese Liste wurde im Verlauf mehrerer Jahre gemeinsam vom Militäramt und vom Geheimdienst geprüft. In einigen Fällen führte diese Prüfung zur Gewissheit über das Schicksal des Gesuchten. Bei der großen Mehrheit steht als Ergebnis – „vermisst“ und das Datum gerechnet ab dem Datum des letzten Briefes plus 3 Monate.
Genau das sehen wir in den weiteren Dokumenten.
Informationen aus Dokumenten, die den Verlust angegeben ID 65914854
Name Grebenjuk Vorname Anton Vatername Kirillowitsch Geburtsdatum __.__.1924 Geburtsort Ukranische SSR, Gebiet Zhitomir, Dorf Ozerjany, Bezirk Brusilow Mobilisiert 06.1941 Militäramt Brusilow, Ukranische SSR, Gebiet Zhitomir, Dorf Ozerjany, Bezirk Brusilow Dienstrang Rotarmist Grund für den Verlust vermisst Datum des Verlust __.03.1944* Quelle des Bericht ZAMO
* für die von Deutschland besetzten Teile der Sowjetunion galt die Regeln das Datum des Verlustes als Vermisste/r ist„3 Monaten nach Befreiung der Region“
Unter Nummer 8 der Liste wird Anton Kirillowitsch Grebenjuk ausgeführt. Nur sehr wenig ist von ihm in Erinnerung geblieben. Seine Mutter, Anna Pawlowna Grebenjuk, hatte nicht viele Möglichkeiten für eine Suche. Sie erhielt am 25. September 1946 den Bescheid des örtliches Militärsamt „vermisst zusammen mit 14 anderen Rotarmisten aus den umliegenden Dörfern“.
Iwan Petrowitsch Haew
Iwan Petrowitsch Haew wurde als Infanterist ohne Parteizugehörigkeit mobilisiert. Den letzte Brief hat er von der Feldpost 59/2, Bahnhof Tschizhowo, Dorf Zarabby-Kostji, Gebiet Belostock, am 20.06.1941 abgeschickt. Seine Ehefrau, Olga Iwanowna Haewa, erhielt nur die Nachricht, dass ihr Ehemann als „vermisst seit Dezember 1941“ gilt. Dieser Bescheid ist vom 3.12.1947 . Der Bescheid bedeutete für Olga Iwanowna Haewa, dass keine weiteren Nachforschungen folgen würden. Damit hatte sie die letzte Hoffnung auf die Rückkehr ihres Ehemanns verloren.
Informationen aus Dokumenten zur Klärung von Verlusten ID 62330033
Familienname Haew Vorname Iwan Vatername Petrowitsch Geburtsdatum 1914 Geburtsort Gebiet Iwanowo, Dorf Medwezhje Datum und Ort der Mobilisierung 20.06.1940, Militärbehörde der Stadt Palech, Gebiet Iwanowo Dienstgrad Rotarmist Grund für den Verlust vermisst Datum des Verlust 12.1941 Quelle ZAMO
Unter der Nummer 8 sehen wir die kurze Informationen aus Befragungen des örtlichen Militärsamts.
Schon in September 1941 musste Iwan Haew in der Stadt Meissen Zwangsarbeit leisten. Am 21.10.1941 wird er an das Stalag IV H gebracht. Darüber haben wir in unserem Beitrag „Leben und Sterben der sowjetischen Gestapo-Opfer“ berichtet. Auf der Arbeitskarte ist sein Tod nicht dokumentiert. Weitere Dokumente sind während des Krieges verloren gegangen. Ebenso wie seine Dokumente verschwand auch Iwan Petrowitsch Haew, wie es von der Gestapo geplant war.
In der Vergangenheit wussten die sowjetische Seite nichts von den Gestapo-Listen und die deutsche Seite kannte die Suchmeldungen der Angehörigen nicht. Heute aber haben alle Seiten Zugang zu diesen Dokumenten, deshalb muss alles dafür getan werden Namen und Schicksal der „Vermissten“ zu erforschen, sonst erreichen die Nazis ihr Ziel: Menschen, die von ihnen in rassistischer Weise abgewertet wurden, die sie gequält, ausgebeutet und ermordet haben, einfach spurlos verschwinden zu lassen.
Im Stadtarchiv der Stadt Dortmund geben zahlreiche Dokumente Zeugnis von der grausamen Arbeit der Gestapo. Auch in den letzten Kriegstagen wurden Verhaftungen akribisch vermerkt. Die Dokumente über die Gestapo-Haft sowjetischer Bürger*innen enthalten für diese Zeit 117 Einträge. Hinter den Namen dieser Verhafteten findet sich oft der Vermerk „entlassen“. Anders als der Begriff „entlassen“ vermuten lässt, haben diese Gefangenen ein grausames Schicksal, denn die Eintragung „entlassen“ war ein Todesurteil für die Gefangenen. So gehen wir davon aus, dass unter den 117 Menschen auf der Liste der Gestapo, 98 Gefangene, hinter deren Namen den Vermerk „entlassen“ steht, die letzte Tage des Krieges nicht überlebten.
Nur wenige haben überlebt
Nur wenige Gefangene haben die Gestapo-Haft und die letzte Tage des Krieges überlebt. Für einigen Menschen haben wir jetzt persönliche Dokumenten in verschiedenen Archiven gefunden.
Pawel Wasiljewitsch Philipin
Auf der oben genannten Gestapo-Liste ist Paul Pilipin, geboren 1911, unter der Nr. 8554 eingetragen. Er war am 2.4.1945 in Gestapo-Haft. Nach eingehender Recherche konnten wir in der Datenbank OBD-Memorial (https://obd-memorial.ru/html/) unter der ID 79919315 einen Eintrag für Philipin (Filipin), Pawel Wasiljewitsch finden. Wir gehen davon aus, dass es sich um den in der Liste genannten Paul Pilipin handelt, denn nach unserer Erfahrung wurden Namen von sowjetischen Bürger*innen bei der Registrierung sehr oft fehlerhaft aufgenommen. Darüber hinaus differiert die Schreibung von Namen in lateinischer, deutscher und kyrillischer Schrift.
Informationen aus dem Archiv ID 79919315
Familienname Philipin (Filipin) Vorname Pawel Vatername Wasiljewitsch Geburtsdatum 1911 Geburtsort Rjsaner Gebiet, Dorf Nikoljskoe Datum und Ort der Mobilisierung 1941 Letzter Dienstort Einheit 904. Infanterie Regiment DienstgradRotarmist Grund des Verlustes in Gefangenschaft geraten (befreit) Datum des Verlust 20.08.1941
Der Eintrag in der Datenbank OBD-Memorial besagt, dass Pawel Wasiljewitsch Philipin bereits im August 1941 in Gefangenschaft geriet und am Ende des Krieges befreit wurde. Er hatte also eine lange Gefangenschaft hinter sich. Darüber geben zwei Transportkarten Auskunft: OBD Memorial, ID 1978125561 Transportkarte Filipin, Pavel zum Stalag XIII A Sulzbach Rosenberg (Bayern)
OBD Memorial, ID-Nr. 1978107752 Transportkarte Filipin, Pavel vom Stalag XIII A Sulzbach Rosenberg (Bayern) zum Stalag XIII D zum Stalag XIII A Nürnberg-Langwasser
Es ist anzunehmen, dass Pawel Philipin nach Dortmund kam, da sehr viele sowjetische Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit in die Betriebe und Zechen des Ruhrgebiets gebracht wurden.
Pjotr Iwanowitsch Powarow
Auch Pjotr Powarow (Peter Powarow) geriet in Gestapo-Haft und wurde unter der Nr. 10020 registriert, auch er wurde nach dem Ende des Krieges befreit.
Informationen aus dem Archiv ID85494462
Familienname Powarow Vorname Pjotr Vatername Iwanowitsch Geburtsdatum 1918 Geburtsort Smolensk, Degtjarowa 2 Datum und Ort der Mobilisierung 09.05.1934, Waisenhaus, Stadt Smolensk Dienstrang Unterleutnant Grund für den VerlustIn Gefangenschaft geraten (befreit) Datum des Verlust 27.10.1941 Quelle ZAMO
Seine Filtrationskarte besagt: Der Unterleutnant Pjotr Iwanowitsch Powarow geriet leichtverwundet am 27.10.1941 in Kriegsgefangenschaft. Am 13.04.1945 befreiten ihn die Amerikaner in Dortmund. Bis November 1946 wurde er in verschiedenen Filtrationslagern überprüft. Danach arbeitete er bei einem Moskauer Bauunternehmen.
Filtrationskarte von Pjotr Iwanowitsch Poworow
Der Vermerk „entlassen“ war ein Todesurteil
Ganz anders aber waren die Schicksale der 98 sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilisten*innen, deren Gestapo-Akten den Vermerk „entlassen“ tragen. Von keiner dieser Personen finden sich Dokumente über ihre Befreiung und ihre Rückkehr nach Hause.
Anwer Hassanowitsch Issajew
Einer dieser 98 Gefangenen ist An(u)wer Issajew, registriert unter der unter Nummer 8649 in den Gestapo-Akten. Seine Familie erhielt von ihm im November 1941 das letzte Lebenszeichen.
Informationen aus dem Archiv ID 70276022
Familienname Isaew Vorname Anwar Vatername Hasanowitsch Geburtsdatum 1920 Geburtsort ASSR Mordowien, Dorf Atenino Datum und Ort der Mobilisierung 13.02,1941 ,Kirgisische SSR, Gebiet Osch Dienstgrad Rotarmist Grund für den Verlustvermisst Datum des Verlust 12.1941 Quelle ZAMO
Iwan Petrowitsch Haew
Über den unter der Nummer 8666 eingetragenen Iwan Haew gibt es Informationen in der Datenbank OBD-Memorial. Iwan Petrowitsch Haew war seit dem 20.6.1940 Soldat, sein letzter Dienstort war Belostock ganz im Westen der Sowjetunion. Ab Ende Juni 1941 hatte seine Familie keine Nachricht mehr von ihm.
Informationen über Kriegsgefangenen ID 72230514
Name Haew Vorname Iwan Geburtsdatum 04.08.1914 Lager Stalag (Lager in dem der Gefangene registriert wurde) IV B Erkennungsmarken-Nr. 123059 Dienstrang Rotarmist Quelle ZAMO
Im September 1941 wurde er im Stalag IV B Mühlberg/Elbe registriert und erhielt die Erkennungsmarken-Nr. 123059. Einige Arbeitseinsätze und Lagern überlebte er.
Er wurde mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zur Zwangsarbeit ins Ruhrgebiet gebracht. Sein letztes Lebenszeichen war die Eintragung der Dortmunder Gestapo „entlassen“. Der Vermerk war sein Todesurteil. Er kam nicht nach Hause.
Trofim Efimowitsch Litwin
Trofim Efimowitsch Litwin war seit 1939 Soldat in einer Einheit der Roten Armee in der Stadt Belzy. Seit November 1941 hatte seine Familie kein Lebenszeichen von ihm.
Auch Trofim Litwin geriet in Gestapo-Haft und wurde unter der Nr. 8677 registriert. In den Gestapo-Akten steht neben seinem Namen unter dem 1.4.1945 der Vermerk „4K entlassen“.
Informationen aus Dokumenten zur Klärung von Verlusten ID 70120548
Familienname Litwin Vorname Trofim Vatername Efimowitsch Geburtsdatum 1917 Geburtsort Ukrainische SSR, Gebiet Poltawa, Dorf Komarowka Datum und Ort der Mobilisierung 10. 1939, Ukrainische SSR, Stadt Poltawa, letzter Dienstort P/Ja 35-10 Dienstgrad Rotarmist Grund für den Verlust vermisst Datum des Verlust 12.1943 Quelle ZAMO
Ebenso wie die Familien in Deutschland und Frankreich Nachforschung nach ihren Angehörigen anstellten, die in der Bittermark ermordet wurden, suchten auch die Familien in der Sowjetunion nach ihren ermordeten Angehörigen. Diese Nachforschungen waren in der Nachkriegszeit sehr schwierig. Inzwischen wurde viele Archiven geöffnet, die in der Nachkriegszeit nicht zugänglich waren. Welche Informationen und Dokumente lassen sich dort noch über die 98 aus Gestapo-Haft „Entlassenen“ finden?
Kurz vor dem Ende des Krieges, im Frühjahr 1945, ermordete die Gestapo in der Bittermark und im Rombergpark mehrere hundert Menschen, die genaue Zahl ist nicht bekannt. Eine Liste mit den Opfern der Bittermark enthält 114 Namen, darunter auch einige ausländische Häftlinge, von denen angenommen wird, dass sie in den letzten Kriegstagen in Dortmund ermordet wurden. Als Quellen wird das Buch von Lore Junge „Mit Stacheldraht gefesselt“ angegeben.
Lore Junge gibt in ihrem Buch insbesondere die Biographien der deutschen Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen wieder. Dafür hat sie mit Angehörigen der Ermordeten gesprochen und Akten durchgesehen. Ihrer Arbeit und ihren Recherchen ist es zu danken, dass wir viel über das Leben und die politische Arbeit der ermordeten Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen wissen sowie über ihre Zeit in Haft und die Suche nach den Ermordeten in den Tagen und Wochen nach dem Bekanntwerden der Verbrechen in der Bittermark. Bei ihren Recherchen beruft sich Lore Junge unter anderem auch auf Dokumente der Gestapo und auf den Prozess, der 1952 gegen einige Täter stattfand.
Für die ausländischen Ermordeten der Bittermark ist die Recherche jedoch sehr schwierig. Berichte von Angehörigen liegen in den allermeisten Fällen nicht vor. Die Dokumentenlage über die Verbrechen der Gestapo in den letzten Kriegstage ist lückenhaft. Dennoch liegen dem Stadtarchiv Dortmund Dokumente vor. So sind in Papieren Gestapo unter dem 2. April 1945 zahlreiche Personen mit dem Vermerk „2.04.1945 entlassen“ geführt. Dort finden sich auch die Namen Albert Meyers, Cornelius Bothof und Peter Drapohovich aus der obengenannten Liste.
Nr. in der Opferliste
Nationalität
Name
Letzte Meldung
Eintragung Gestapo
73
Franzose
Meyers, Albert
02.04.1945
entlassen
12
Holländer
Bothof, Cornelius
02.04.1945
entlassen
32
Jugoslave
Drapohovic, Peter
02.04.1945
entlassen
Schauen wir die Gestapo-Akten von sowjetischen Bürgerinnen und Bürgern an, finden wir am gleichem Tag zahlreiche Eintragungen mit dem Vermerk „Gestapo abgeholt“ oder „durch Gestapo entlassen“. So wurden am 2.4.1945 gem. Gestapo-Akten 13 sowjetische Gefangene „entlassen“. Wir müssen davon ausgehen, dass sie ermordet wurden.
Diese Menschen, die vielleicht in der selben Zelle saßen wie die drei obengenannten Gefangenen, werden bis heute nicht zu den Ermordeten der Bittermark gezählt.
*Der Text ist, soweit nicht anders angegeben, dem Buch von Jochen Hellbeck „Die Stalingrad Protokolle – Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht“, Seite 11-18, Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main, Wien, Zürich, 2012, entnommen.
Die Schlacht um Stalingrad markiert einen Wendepunkt im 2. Weltkrieg. Sie endete mit der Einkesselung und Vernichtung einer gesamten deutschen Feldarmee. Es war die bislang größte Niederlage in der deutschen Militärgeschichte.
28. Juni 1942
Nach den zum Stehen gekommenen deutschen Angriffen auf Leningrad, Moskau und Sewastopol im Herbst 1941 und den sowjetischen Gegenoffensiven im Winter plante Hitler für das zweite russische Kriegsjahr eine umfassende Sommeroffensive unter dem Decknamen „Operation Blau“. Sie begann am 28. Juni 1942 mit einem Großangriff an der russisch-ukrainischen Südfront und sollte Deutschland in den Besitz wichtiger Rohstoffquellen bringen – der Kohlegebiete vom Donbass und der Ölfelder von Maikop, Grosny und Baku. Die Panzer- und motorisierten Infanterieverbände der Deutschen kamen rasch voran. Die Speerspitze in der Heeresgruppe B bildete die 6. Armee von Generaloberst Paulus. Unterstützt von rumänischen Verbänden, erhielten sie den Auftrag, die Industriestadt Stalingrad an der Wolga zu erobern. Zu diesem Zeitpunkt mochte auch sowjetischen Beobachtern scheinen, dass der Krieg bereits entschieden war. Wassili Großman, ein sowjetischer Schriftsteller und Journalist, der als Kriegsberichterstatter für die Zeitung „Roter Stern“ u.a. von der Schlacht um Stalingrad berichtete, notierte im August 1942 in sein Tagebuch: „Dieser Krieg im Süden, am Unterlauf der Wolga, schafft ein Gefühl, als wäre ein Messer tief in den Leib gerammt worden.“
Hitler stilisierte den deutschen Angriff frühzeitig zu einem Entscheidungskampf zwischen den verfeindeten weltanschaulichen Systemen. Am 20 August 1942 notierte Joseph Goebbels in seinem Tagebuch: „Es soll kein Stein auf dem anderen bleiben.“ Am 23. August erreichten erste deutsche Panzer 70 Kilometer entfernt die Wolga nördlich von Stalingrad und riegelten den Zugang zur Stadt von Norden her ab.
Stalingrad erstreckte sich wie ein Band 40 Kilometer längs des Westufers der Wolga. Bei Kriegsausbruch zählte Stalingrad knapp 500.000 Einwohner.
Als Industriezentrum und Waffenschmiede spielte es eine wichtige kriegswirtschaftliche Rolle. Im Sommer 1942 war die Stadt zudem von Flüchtlingen überlaufen.
Stalingrad kurz vor dem Angriff, Quelle „Stalingrad Lehren der Geschichte, Hrg. W.I. Tschuikow, Röderberg Verlag, Frankfurt 1979
23. August 1942
„Der Tag begann wie allen anderen. Die Hausmeister trieben Staubwolken von der Platzmitte zum Gehweg. Alte Frauen und kleine Mädchen gingen vorbei, um sich für Brot anzustellen…Tausende Menschen, die am Flusshafen auf die Überfahrt warteten, erwachten langsam und unwillig, gähnten, kratzten sich, kauten trockenes Brot… Die Sonne stieg höher. Und die ganze große, unruhige Stadt, Heerlager und Ort zivilen Lebens in einem, begann zu atmen, begann zu arbeiten… Auf einer Bank neben dem Paradeeingang eines dreistöckigen Hauses hatten es sich zwei hübsche junge Frauen bequem gemacht. Die eine, die Frau des Hausverwalters, stopfte ein Kinderkleidchen, die andere strickte einen Strumpf… Die letzte Stunde Stalingrads, des Stalingrad, wie es vor dem Krieg war, verlief wie alle Stunden und Tage zuvor… Die ersten Flugzeuge tauchten gegen 4 Uhr nachmittags auf. Das Dröhnen der Motoren wurde stärker, zäher, dichter… Alle Geräusche der Stadt duckten sich, verebbten und allein das Dröhnen, das in seiner behäbigen Monotonie die Riesenkraft der Motoren wiedergab, wuchs an verdichtete, verfinsterte sich. Zeitweise konnten das gewaltige Flakfeuer und die Angriffe der Jäger mit dem roten Stern die Formation der deutschen Luftwaffe stören… Als sie sich über der Stadt getroffen hatten, die Flugzeuge aus Osten und Westen aus Norden und Süden, gingen sie in den Sinkflug über… Und ein drittes neues Geräusch ertönte über der Stadt – das bohrende Pfeifen Dutzender und Hunderter von Sprengbomben, die sich von den Tragflächen lösten, das Winseln Tausender und Zehntausender Brandbomben, die aus den aufklaffenden Schüttbehältern stürzten. Die Bomben erreichten die Erde und bohrten sich in die Stadt.“
(Wassili Großman, Stalingrad, Seite 699ff, Ullstein Verlag, 2022)
„Es kamen die schwersten Tage für die Verteidiger von Stalingrad. Im Getümmel der Schlacht um die Stadt, der Angriffe und Gegenangriffe, im Kampf um das „Haus der Spezialisten“, um die Mühle, um das Gebäude der Staatsbank, im Kampf um Keller, Höfe und Plätze zeigte sich eindeutig die Überlegung der deutschen Streitkräfte. Die Initiative, die Treibkraft des Krieges, ging in diesen Tagen von der deutschen Seite aus. Immer weiter schoben sie sich vor, und aller Ingrimm der sowjetischen Gegenangriffe konnte ihren langsamen, aber unaufhaltsamen Vormarsch nicht stoppen. Am Himmel dröhnten vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang die deutschen Sturzkampfflugzeuge und stießen mit Sprengbomben auf die schmerzerfüllte Erde herab. Und in Hunderten von Köpfen saß quälend nur ein Gedanke: Was wird morgen sein oder in einer Woche, wenn sich der sowjetische Verteidigungsgürtel in einen Faden verwandelt hat und durchgerissen ist, zermalmt von den Eisenzähnen der deutschen Offensive?“
(Wassili Großman, Leben und Schicksal, Seite 37 f, Ullstein-Verlag, 2022)
Stalingrad, Quelle siehe weiter oben
14. September 1942
Nach den zweiwöchigen Bombenangriffen traten die deutschen Truppen zum Sturm auf die Stadt an. Am 14. September brach ein Regiment in der Innenstadt zu Wolga durch. In den schweren Straßen- und Häuserkämpfen der darauffolgenden Wochen wurden die Soldaten der 62. Armee (Rote Armee Anm. HT) überall in der Stadt bis ans Wolgaufer zurückgedrängt. Die im westlichen Steilufer eingegrabenen sowjetischen Verteidiger hielten bald nur noch mehrere Brückenköpfe.
Am 8. November 1942 hält Hitler im Löwenbräu in München eine Rede, die auch im Völkischen Beobachter abgedruckt wurde. Viktor Nekrassow, der in Stalingrad Soldat in der Roten Armee war und am westlichen Steilufer kämpfte, berichtet in seinem Roman „Stalingrad“ über diese Rede (Anmerkung H.T.)
„Vor meinen Augen tanzen die Buchstaben, ungewohnte gotische Buchstaben… „Völkischer Beobachter“ Die Rede des „Führers“ in München … „Stalingrad ist unser! Nur noch in wenigen Häusern sitzen die Russen. Mögen sie sitzen…Die gewaltige russische Arterie- die Wolga ist lahmgelegt. Und es gibt keine Macht in der Welt, die uns von diesem Platz fortbringen könnte…Ich weiß Sie haben Vertrauen zu mir, und Sie dürfen versichert sein – ich wiederhole es mit voller Verantwortung vor Gott und der Geschichte -, daß wir Stalingrad nie wieder verlassen werden. Nie wieder! Wie sehr es die Bolschewisten auch wünschen mögen…“ Ich stehe auf und gehe schwankend durch die Öffnung, die früher wahrscheinlich eine Tür war.
(Viktor Nekrassow, Stalingrad Seite 335f, Aufbau-Verlag 2021)
19. November 1942
Am 19. November 1942 startete die als „Operation Uranus“ kodierte sowjetische Großoffensive mit einem Aufgebot von über einer Million Soldaten. Die sowjetischen Panzer vereinigten sich am 24. November mit den am 20. November südlich von Stalingrad nach Westen vordringenden Panzerdivisionen. Die Deutschen und ihre Verbündeten waren eingekesselt. Der Oberbefehlshaber der 6. Armee erwog einen Ausbruch seiner eingeschlossenen Truppen. (Doch) Hitler ordnete an, die „Festung Stalingrad“ um jeden Preis zu halten. Eine Luftbrücke sollte die eingekesselten Soldaten mit Nahrung und Munition versorgen. Die Versorgung des Stalingrader Kessels aus der Luft blieb lückenhaft, so dass die anfangs über 300 000 eingeschlossen Soldaten zusehends an Nahrung- und Munitionsknappheit litten.
10. Januar 1943
Die Schlussoperation der Roten Armee zur Zerschlagung des Kessels, „Operation Ring“ begann am 10. Januar 1943. Am 26. Januar vereinigte sich die Don-Front mit der 62. Armee. Das Treffen fand auf dem Mamajew-Hügel statt, einer über Monate hinweg heftig umkämpften Höhe hinter dem Fabrikbezirk. Die Deutschen in Stalingrad waren nun in einem Nord und Südkessel gespalten. Am 30. Januar hielt Hermann Göring aus Anlass des zehnten Jahrestages der nationalsozialistischen Machtergreifung eine Radioansprache. Göring verglich die deutschen Soldaten in Stalingrad mit den Helden des Nibelungenlieds. Gleich ihnen, die in einem „Kampf ohnegleichen… in einer Halle aus Feuer und Brand…kämpften und kämpften bis zum Letzten“, würden – ja sollten die deutschen Stalingrader kämpfen, „denn ein Volk, das so kämpfen kann, muss siegen.“
Diese Radioansprache konnte auch von den Soldaten in Stalingrad empfangen werden
Heinrich Gerlach, der Soldat in Stalingrad war, hörte diese Rede in einem Keller in Stalingrad und schildert die Wirkung der Rede auf die Eingekesselten in seinem Roman „Durchbruch bei Stalingrad“.(Anmerkung H.T.)
„Und dann spricht Göring, fett und jovial, wie ein Krugwirt…Es war still geworden, so still, daß man durch die Wände ganz deutlich fernes Klopfen und Hämmern und Poltern von Steinen hörte. „Was ist denn das?“ flüsterte Eichert und sah die Umsitzenden an. „Das ist ja eine Leichenrede. Der spricht ja gar nicht mehr zu uns!“ „Wir sind ja schon tot! Werden schon ausgeschlachtet, ausgeschlachtet für die Propaganda“…Keine Hoffnung mehr! Für die Zehntausenden von Verwundeten und Kranken keine Hoffnung mehr. Und das wagte dieser Lump auszusprechen! Hauptmann Eichert war aufgesprungen. „Schluß!“ schrie er „Schluß!“ Er griff nach dem Eisenrohr, das am Herd stand, und schlug wie ein Wilder auf das Gerät ein. Die Stimme (im Radio)verstummte.“
(Heinz Gerlach, Durchbruch bei Stalingrad, Seite 493ff, Verlag Kiepenheuer und Witsch, 2016)
Haus des Serganten Pawlow, Quelle siehe weiter oben
In den Morgenstunden des 31. Januar hatten sowjetische Soldaten der 64. Armee den Platz der „Gefallenen Kämpfer“ umstellt. Ein deutscher Offizier gab sich ihnen als Parlamentär zu erkennen und bot Kapitulationsverhandlungen an. Mehrere Stunden später legten die deutschen Soldaten im Südkessel die Waffen nieder, in der Traktorenfabrik im Nordkessel wurde noch bis zum 2. Februar gekämpft.
Als Hitlerdeutschland am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, ging nicht nur darum, den Sowjetstaates zu beseitigen und die Menschen zu versklaven. Millionen Menschen sollten ermordet werden. Der Vernichtungskrieg gegen Sowjetunion und die Menschen dort wurde aber nicht nur im Osten geführt, sondern er setzte sich im Deutschen Reich fort. Millionen sowjetische Bürger*innen wurden verschleppt und mussten Zwangsarbeit leisten. Viele kamen ins Ruhrgebiet und ins Rheinland und mussten auf Zechen, in Stahlwerken und Rüstungsbetrieben schuften. Ein besonders hartes Schicksal hatten die sowjetischen Kriegsgefangenen.
Die deutsche Schwerindustrie profitiert
Kohle war für die Stahlwerke und Rüstungsbetriebe der wichtigste Energieträger. Im Ruhrgebiet gab es in den 1930ziger Jahren mehr als 120 Zechen. Um den Energiebedarf für die Stahlwerke und Rüstungsbetriebe zu sichern und den Arbeitskräftemangel, der durch die zunehmende Einberufung von Bergleuten zur Wehrmacht entstanden war, zu beseitigen, forderte die Reichsvereinigung Kohle bereits im Sommer 1941 sowjetische Kriegsgefangene verstärkt im Bergbau einzusetzen. Die Reichsvereinigung Kohle wurde im Frühjahr 1941, auf Vorschlag der Industrie, gegründet. Beteiligt waren u.a. Alfred Krupp und Friedrich Flick. Vorsitzender wurde Paul Pleiger, der aus Witten stammte. Er war ein sehr hoher Nazifunktionär und wurde nach dem Krieg wegen Verbrechen gegen den Frieden, Plünderung und Beteiligung an Zwangsarbeiterprogrammen angeklagt und zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verteilt. Er kam jedoch bereits 1951 frei.
Mit ihrer Forderung sowjetische Kriegsgefangene auf den Zechen einzusetzen, hatte die Reichsvereinigung Kohle im Sommer 1942 Erfolg. Zur schnellen Zuweisung der Gefangenen funktionierte die Wehrmacht im Oktober 1942 das Stalag VI A (Mannschafts-stammlager) im sauerländischen Hemer zu einem speziellen „Bergbaulager“ um. Bereits im Herbst 1942 wurden sowjetische Kriegsgefangene in großer Zahl aus anderen Stalags in das Stalag VI A gebracht und von dort kamen sie sofort in die Arbeitskommandos, die sich ganz in der Nähe der Zechen befanden. Auch in Dortmund, u.a. auf Zeche Kaiserstuhl, die damals Hoesch gehörte, oder auf den Zechen der Gelsenkirchener Bergbau-AG, wurden sowjetische Kriegsgefangene in großer Zahl eingesetzt. Die Gelsenkirchener Bergbau-AG (GBAG) wurde in den 1930er Jahren als Betriebsgesellschaft für die Zechen der Vereinigten Stahlwerk AG gegründet. Erster Vorsitzender des Aufsichtsrates war Albert Vögler, Vorstandsvorsitzender war Gustav Knepper, der bekennender Nazi war und für seinen Umgang mit den Zwangsarbeitern das Kriegsverdienstkreuz erhielt. 1942 wurde Otto Springorum sein Nachfolger. Ehrenvorsitzender war der ehemalige Chef der GBAG Emil Kirdorf. In Dortmund gehörten der GBAG sechs vom elf Zechen: Westhausen, Hansa, Minister Stein, Adolf von Hansemann, Zollern/Germania und Fürst Hardenberg.
Sklavenarbeit im Ruhrbergbau
Im Frühjahr 1943 dürften auf den 11 Dortmunder Zechen jeweils bis zu 500 sowjetische Kriegsgefangene in den Arbeitskommandos, in umzäunten und bewachten Lagern, gewesen sein.
Ohne ausreichende Ernährung, ohne geeignet Kleidung, ohne eine entsprechende Unterkunft und die notwendige Gesundheitsversorgung mussten die Gefangenen auf den Zechen schuften. Sie waren ständigen Demütigungen und Bestrafung ausgesetzt. Bombenangriffen waren sie ausgeliefert, da es ihnen nicht erlaubt war Schutzräume aufzusuchen. Bereits nach kurzer Zeit waren die Gefangenen aufgrund der schweren Arbeit und katastrophalen Lebensbedingungen völlig entkräftet und krank. Sie wurden in das Lazarett des Stalag VI D an der Westfalenhalle in Dortmund gebracht, wo viele starben und auf dem Ausländerfriedhof anonym begraben wurden.
Im Sommer 1944 schufteten rd. 94.000 sowjetische Kriegsgefangene im Ruhrbergbau. Die Gelsenkirchener Bergbau-AG und alle anderen Eigner der Zechen haben von der Sklavenarbeit sowjetischer Kriegsgefangener erheblich profitiert. Ebenso profitiert hat die Wehrmacht, die für jeden Gefangenen, der in der Industrie oder in die Landwirtschaft schuften musste, von den Unternehmen Geld erhielt. Über die Wehrmacht profitierte der faschistische Staat von den Gefangenen.
Die Opfer der Zwangsarbeit wurden schnell vergessen
In der Nachkriegszeit wurden die Menschen, die Opfer der Zwangsarbeit wurden, schnell vergessen. Nach ihnen wurde nicht geforscht, ihre Gräber wurden eingeebnet, ihre Namen wurden nicht genannt und blieben vielfach unbekannt. Das setzt sich bis heute fort, auch in Dortmund. Auf dem Internationalen Friedhof wird das Ausmaß des Sterbens und die Anzahl der sowjetischen Kriegsopfer bis heute nicht deutlich und die verstorbenen sowjetischen Bürger*innen haben auch 77 Jahre nach dem Ende des Krieges in der Öffentlichkeit keinen Namen. Die lange geplante Errichtung von Namensstelen für die sowjetischen Kriegsopfer ist bis heute nicht erfolgt. Inzwischen wurde das Projekt, nach Aussagen der Stadt Dortmund, wegen des Kriegs in der Ukraine zurückgestellt.
Der Historische Verein Ar.kod.M e.V. erinnerte an den sowjetischen Kriegsgefangenen Alexej Schwez. Das Gedenken fand auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund statt, wo mehrere tausenden sowjetischen Kriegsopfern ohne eine namentliche Erinnerung begraben sind.
Alexej Schwez war 40 Jahre alt, als er im Kriegsgefangenenlager (Stalag VI D) in Dortmund starb. Er stammte aus Gebiet Nikolajew in der heutigen Ukraine. Über ihn und seinen Schicksal in der Kriegsgefangenschaft wissen wir wenig. Vielleicht musste, wie viele andere, auf den Zechen des Ruhrgebiets Zwangsarbeit leisten.
Ab Herbst 1942 wurden sowjetische Kriegsgefangene im Bergbau eingesetzt , um den Energiebedarf für die Stahlwerke und Rüstungsbetriebe zu sichern und den Arbeitskräftemangel zu beseitigen, der durch die Einberufung von Bergleuten zur Wehrmacht entstanden war. Tausende Gefangene wurden im Mannschaftsstammlager VI K (326) in der ostwestfälischen Senne registriert und dann in das Stalag VI A im sauerländischen Hemer gebraucht. Von dort kamen die Gefangenen sofort in die Arbeitskommandos auf den Zechen des Ruhrgebiets. Viele Gefangene waren da bereits geschwächt. Für die Erhaltung und Wiederherstellung ihrer Gesundheit wurde nichts getan. In Betrieben und Zechen mussten sie dennoch sehr hart arbeiten, ohne dass sie ausreichende Ernährung, Kleidung und Unterkunft erhielten. Viele Gefangene erkrankten aufgrund der mangelnden Fürsorge schwer. Waren sie nicht mehr arbeitsfähig, brachte man sie in Dortmund in das Stalag VI D. Das Lager befand sich an der Westfalenhalle auf dem heutigen Messegelände.
Alexej Schwez ist am Nachmittag des 6. Novembers 1943 im Mannschaftsstammlager (Stalag) VI D Dortmund an Lungen-Tbc gestorben. Er wurde auf dem Internationalen Friedhof auf Feld II in Grab 1840 beerdigt.
Am 19. Juni fand auf demSüdfriedhof in Herne eine Gedenkstunde statt. Dmitriy Kostovarov, 1. Vorsitzender des Historischen Vereins Ar.kod.M e.V. war eingeladen auf dieser Gedenkstunde zu sprechen.
Liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren, Das diesjährige Gedenken findet in einer Zeit statt, in der es wieder Krieg in Europa gibt, ein Krieg der viele Menschen hier zu tiefst erschüttert. Ein Ort wie dieser, der die Ruhestätte für Kriegsopfer ist, muss für uns eine Mahnung sein und eine Aufforderung uns für das Ende von Krieg und Tod einzusetzen. Verhandlungen schaffen Frieden, nicht weitere Krieg und noch mehr Waffen. Ein Ort wie dieser zeigt uns deutlich, welche Folgen es hat, wenn wir unsere Herzen und Gedanken für Kriegspropaganda öffnen. Am 22. Juni 1941, fast genau vor 81 Jahren, überfiel Hitlerdeutschland die Sowjetunion. Ein grausamer Vernichtungskrieg begann. Dieser Krieg kostete mindestens 27 Millionen sowjetischer Bürgerinnen und Bürger das Leben. In den ersten Tagen und Wochen des Krieges gerieten mehr als 3 Millionen Rotarmisten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Hitlerdeutschland betrieb gegenüber der Bevölkerung in der Sowjetunion einen Vernichtungskriegs. Der Tod von Millionen Menschen wurde in Kauf genommen. Dieser Vernichtungskrieg traf auch die Kriegsgefangenen. Bis Februar 1942, also innerhalb von 6 Monaten, kamen 2 Millionen Rotarmisten in deutscher Kriegsgefangenschaft ums Leben.
Mahnmal auf dem Südfriedhof in Herne
Zwangsarbeit im Ruhrgebiet
Aber bereits im Sommer 1941 forderte die deutsche Industrie den Einsatz von Kriegsgefangenen im Bergbau, in den Stahlwerken und der Rüstungsindustrie. So wurden auch sowjetische Kriegsgefangene eingesetzt. Im Sommer 1944 waren alleine 95.000 sowjetische Kriegsgefangene im Ruhrbergbau eingesetzt. 100tausende Menschen aus der Sowjetunion mussten im Ruhrgebiet Zwangsarbeit leisten. Ohne ausreichende Ernährung, ohne geeignet Kleidung, eine entsprechende Unterkunft und die notwendige Gesundheitsversorgung mussten sie auf den Zechen, in Stahlwerken und Rüstungsbetrieben schuften. Die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen, die Demütigungen und Bestrafung waren Teil eines rassistischen Programms. Dieser Rassismus rechtfertigte das verbrecherische Handeln. Viele tausend Menschen haben hier ihr Leben verloren. Die Menschen starben an Hunger, fehlender Versorgung, bei Arbeitsunfällen und bei Bombenangriffen, denen sie schutzlos ausgesetzt waren. Der Vernichtungskrieg gegen die Menschen der Sowjetunion wurde im Ruhrgebiet fortgesetzt. Tippt man auf einer Karte des Ruhrgebiets auf einen beliebigen Ort, wird man dort einen Friedhof mit einer Grabstätte von sowjetischen Kriegsopfer finden. Auch in Herne ist das so. Achtet einmal bei Eurem nächsten Friedhofsbesuch darauf. Meistens sind die Gräber am Rande des Friedhofs, oft tragen sie keinen Namen, manchmal wirken sie ungepflegt oder verwahrlost.
Die Gefangenen leisten Widerstand
Doch die Menschen aus der Sowjetunion waren nicht nur Opfer, sie haben vielfältigen Widerstand geleistet. Durch Arbeitsverweigerung und Sabotagen. In den Kriegsgefangenenlagern gab es Widerstandsgruppen. Eine solche Widerstandsgruppe gab es im Lazarett des Stalag VI D an der Westfalenhalle in Dortmund. Die Abkürzung Stalag steht für Mannschaftsstammlager für Kriegsgefangene. Hunderttausend Kriegsgefangene durchliefen das Stalag in Dortmund. Sie wurden von hieraus in die Arbeitskommandos geschickt. Widerstandsgruppen waren häufig in Lazaretten aktiv. Dafür gibt es mehrere Gründe: Das Personal konnte sich richtig kennen lernen und Vertrauen aufbauen, da es selten Versetzungen gab. Ärzte und Pflegekräfte konnten sich freier bewegen als andere. Die Wachmannschaften betraten die Krankensäle selten. Sie hatten schlicht Angst, sich dort anzustecken. Eine wichtige Funktion des organisierten Widerstands war auch, die anderen Gefangenen moralisch zu stärken. Die Widerstandsgruppe im Stalag VI D wurde Ende 1944 entdeckt und zerschlagen. Die Leitung der Widerstandsgruppe kam in Gestapohaft. Einer der Aktivsten war Jakow Pogolovkin. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Er kehrt nach dem Krieg nicht nach Hause zurück. Er verschwand spurlos. Das spurlose Verschwindenlassen war eine Vorgehenswese der Gestapo. Alle Zeugen sollten beseitigt werden.
Der historische Verein Ar.kod.M hat in den vergangenen 15 Jahren eine große Anzahl als unbekannt begrabenen sowjetische Bürgerinnen und Bürger ausfindig machen können. Das ist für Kriegsgefangenen möglich. Sie hatten Registrierungspapiere. Verschleppte Zivilist*innen wurden bei ihrem Tod in den Standesämtern in den Städten und Gemeinden registriert. Es ist möglich diesen Verstorbenen zu finden und ihnen ihre Namen zurückzugeben. Eine Ausnahme bilden die Menschen, die von der Gestapo in den letzten Kriegstagen ermordet wurden. Ihrer können wir wahrscheinlich nicht namentlich gedenken, wir müssen sie aber als mutige Kämpfer*innen in Erinnerung behalten. Mir ist es ein großes Anliegen die Erinnerung an die sowjetischen Kriegsopfer wachzuhalten. Ich arbeite dafür, den Verstorbenen ihren Namen und eine würdige Grabstätte zu geben. Dies ist in dieser schwierigen Zeit eine Herausforderung. Doch im Ruhrgebiet engagieren sich viele Menschen in der Erinnerungsarbeit. Das macht mir Mut. Wir sollten uns für eine gemeinsame Arbeit und für einen Austausch vernetzen.
Land und Kommunen stehen auch heute in der Verantwortung
Die Erinnerung an die Opfer des Krieges, an ihre Leben und Leiden in den Rüstungsbetrieben, den Stahlwerken und den Zechen darf aber nicht nur dem bürgerschaftlichen Engagement überlassen werden. Die Erinnerung an die Opfer des Kriegs ist auch Angelegenheit des Landes und aller Kommunen. Unsere Recherchen haben gezeigt, in kommunalen Archiven sind noch viele Dokumentensammlungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit vorhanden. Diese Sammlungen können über das Schicksal und den Verbleib von Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen Auskunft geben Vielfach ist die Dokumentation jedoch lückenhaft. Die Listen mit Verstorbenen enthalten oft den Vermerk „unbekannt“. Die Angaben über die Verstorbenen sind unvollständig. Die Namenslisten stammten meistens aus der Kriegs- und direkten Nachkriegszeit. Eine Ergänzung oder Korrektur der Listen ist sehr selten, obwohl sie nach Gräbergesetz durchgeführt werden muss. Oft lehnen Kommunen Ergänzungen der vorliegenden Dokumente ab. Sie konservieren den Erkenntnisstand über sowjetische Kriegsopfer aus der Jahren 1945 bis 1953. Die Dokumente geben aber oft die Sichtweise der Kriegs- und Nachkriegszeit wieder. Die Listen wurden auf Betreiben der Alliierten angefertigt. Sie wurden nicht selten von Beamten erstellt, die bereits während des Krieges in der Verwaltung tätig waren. Diese Beamten waren nicht unbefangen. Es wäre hilfreich, wenn in Nordrhein-Westfalen eine landesweite Abfrage durchgeführt würde über die Dokumentation von während des Krieges in den Städten und Gemeinden verstorbenen sowjetischen Kriegsopfern. Die Bestände sollten systematische erfasst werden. Hilfreich wäre es, wenn an Hochschulen dazu Forschungsprojekte ins Leben gerufen würden.
Grabstätte von Zwangsarbeiter*innen auf dem Südfriedhof in Herne. Anders als auf dem Südfriedhof in Herne fehlen auf den großen Friedhöfen in Nordrhein-Westfalen persönliche Erinnerungen an die Verstorbenen
Ebenso hilfreich wäre es, wenn es Vorgaben des Landes zur Pflege der Gräber von Kriegsopfern gäbe und kein Unterschied bei der Grabpflege von Kriegsopfern gemacht würde. Die Grabstätten sowjetischer Kriegsgefangener und Zivilarbeiter*innen unterscheiden sich oft deutlich von den Grabstätten anderer Kriegsopfer. In den vergangenen 15 Jahren besuchten wir viele Friedhöfe, auf denen sowjetische Kriegsgefangene sowie Zivilarbeiter*innen und deren Kinder begraben sind. Wir sahen wie unterschiedlich der Zustand dieser Grabstätten ist. Wir fanden Grabstätten mit Einzelgräbern. Auf den Gräbern waren Grabsteine mit den Namen der Verstorbenen. Wir sahen aber auch Rasenflächen und mit verborgen Obelisken in verwahrlosten Gebüschen. Manchmal befanden sich diese Grabstätten in unmittelbarer Nähe zu gepflegten Gräbern deutscher Kriegsopfer. Die großen Friedhöfe mit Gräbern sowjetischer Bürgerinnen und Bürger haben heute manchmal einen parkähnlichen Charakter. Viele Menschen sind erschrocken, wenn sie erfahren, dass es sich um Gräberfelder handelt. Die Verantwortung für die Pflege der Grabstätten sowjetischer Kriegsopfer liegt, gemäß Gräbergesetz in Nordrhein-Westfalen bei den Kommunen. Der Zustand der Friedhöfe zeigt, es gibt entweder keine einheitlichen Richtlinien für die Pflege dieser Gräber oder diese Richtlinien werden nicht flächendeckend umgesetzt. Eine Erhebung zum Zustand der Grabstätten von sowjetischen Kriegsopfern im Land Nordrhein-Westfalen ist erforderlich. Es darf keine Unterschiede in der Pflege von Kriegsgräbern geben. Auch auf den Gräbern sowjetischer Kriegsopfer müssen Grabsteine oder Stelen mit den Namen der Verstorben stehen. In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion gibt es bis heute ein großes Interesse an einem persönlichen Gedenken an die im Zweiten Weltkrieg umgekommenen Familienangehörigen. Nicht vergessen werden sollte, dass die Sowjetunion 27 Millionen Kriegsopfer zu beklagen hat. Das bedeutet, dass es in jeder Familie Kriegsopfer gibt.
Die Gelsenkirchener Bergbau-AG (GBAG) wurde in den 1930er Jahren als Betriebsgesellschaft für die Zechen der Vereinigten Stahlwerk AG gegründet, erster Vorsitzender des Aufsichtsrates war Albert Vögler, Vorstandsvorsitzender war Gustav Knepper, der bekennender Nazi war und für seinen Umgang mit den Zwangsarbeitern das Kriegsverdienstkreuz erhielt. 1942 wurde Otto Springorum sein Nachfolger. Ehrenvorsitzender war der ehemalige Chef der GBAG Emil Kirdorf. In ihrem Besitz befanden sich zahlreiche Zechen im Ruhrgebiet. Während des Krieges mussten tausende Menschen, Zivilarbeiter und Kriegsgefangene auf den Zechen der GBAG Zwangsarbeit leisten. 1944 bestand die Belegschaft zu etwa 50 % aus Zwangsarbeitern, etwa 44 % waren zivile Zwangsarbeiter, 56 % waren Kriegsgefangene, überwiegend aus der Sowjetunion.
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Die Tabelle zeigt die Belegschaft und die Fördermengen aus dem Jahr 1939. Entnommen wurde Tabelle aus Hans-Christoph Seidel „Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg Zechen -Bergarbeiter-Zwangsarbeiter“ Schriftenreihe C: Arbeitseinsatz und Zwangsarbeit im Bergbau, Band 7, Klartext Verlag Essen 2010
1944 bestand die Belegschaft zu etwa 50 % aus Zwangsarbeitern, etwa 44 % waren zivile Zwangsarbeiter, 56 % waren Kriegsgefangene, überwiegend aus der Sowjetunion.
Am 22. Juni 1941 begann der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. 27 Millionen Menschen aus der Sowjetunion verloren ihr Leben. Nahezu jede Familie hat Opfer zu beklagen. In Dortmund wurde mit einem Gedenken an der Westfalenhalle und auf dem Internationalen Friedhof an den Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion erinnert.
Von der Wehrmacht wurde dieser Vernichtungskrieg aktiv und mit ideologischer Überzeugung umgesetzt. Dazu gehörten die Erschießung aller gefangenen Politkommissare der Roten Armee, die Massaker an der Zivilbevölkerung zur Vergeltung von sowjetischen Partisanenaktionen und das Massensterben infolge der deutschen Hungerpolitik. 10 Millionen Soldaten der Wehrmacht trugen an der Ostfront die Verantwortung für den Tod von 11 Millionen Rotarmisten und 14 Millionen Zivilisten. Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ermöglichte erst den Holocaust. SS-Einheiten und Polizei-Bataillone ermordeten in der Sowjetunion mehr als 3 Millionen Juden.
3,3 Millionen sowjetische Soldaten starben in deutscher Kriegsgefangenschaft
Ein Großverbrechen war der lange geleugnete und vergessene Tod von 3,3 Millionen sowjetischen Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft. Sie waren Wehrmachtssoldaten als Bewachern ausgeliefert und wurden zu Tausenden erschossen. Die meisten starben an Hunger, an Seuchen und nicht behandelten Krankheiten. Die Sterblichkeit lag bei 60 Prozent. Ab Herbst 1942 wurden sowjetische Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit eingesetzt. Viele kamen ins Ruhrgebiet. Ohne ausreichende Ernährung, ohne geeignet Kleidung, ohne eine entsprechende Unterkunft und ohne die notwendige Gesundheitsversorgung mussten sie auf den Zechen, in Stahlwerken und Rüstungsbetrieben schuften. Die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen, die Demütigungen und Bestrafung waren Teil eines rassistischen Programms. Dieser Rassismus rechtfertigte das verbrecherische Handeln. Der Vernichtungskrieg gegen die Menschen der Sowjetunion wurde im Ruhrgebiet fortgesetzt. Das Stalag VI D in Dortmund an der Westfalenhalle war ein Ort des Leidens und Sterbens für zigtausende sowjetische Kriegsgefangene. Vom Stalag VI D aus wurden sie in die Arbeitskommandos geschickt. Viele kamen völlig erschöpft und krank von der harten Arbeit in das Stalag zurück und starben im Lazarett.
Nikolaj Nowikow starb im Stalag VI D an der Westfalenhalle in Dortmund. Er war der erster sowjetische Kriegsgefangenen, der auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg begraben wurde
Frauen in der Rotenarmee
Ob im Stalag VI D auch Frauen waren ist nicht bekannt. Rotarmistinnen, die in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten, wurden in der Regel sofort von den Männern getrennt. Die gefangenen Frauen wurden bis 1943 nur selten nach Deutschland gebracht. Sie blieben in den Lagern in den besetzten Gebieten in eigens abgetrennten Bereichen. Ab 1943 wurden die Frauen aufgrund des Arbeitskräftemangels im Deutschen Reich offiziell aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Sie mussten – als zivile „Ostarbeiterinnen“ oder als KZ-Häftlinge der SS – Zwangsarbeit leisten. Zwischen 800.000 und einer Millionen Frauen waren zwischen 1941 und 1945 in der Roten Armee